Ich kann es noch gar nicht so richtig glauben, dass es nun wirklich los geht, dass ich mich mitten in der Eröffnungsphase befinde. Kann nicht wahrhaben, dass ich nun wirklich ganz bald schon Zweifachmama bin und unser Baby irgendwann in den kommenden 24 Stunden ausziehen wird. Ich bin aufgeregt, wehmütig weil die Schwangerschaft nun wirklich bald vorbei ist und genieße die letzten Stunden mit Baby im Bauch ganz intensiv. Ich spüre in mich hinein und bin in Gedanken bei meinem Baby, frage mich wie es wohl aussehen wird. Ja, alle Anzeichen stehen auf Geburt. Wann wird unser Baby nur da sein? Heute? Morgen? Ich rechne mit dem nächsten Tag, ein Samstag. Ein schöner Tag um Geburtstag zu feiern. (Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2)

Während ich durch die Wohnung flitze und die noch recht leichten Wellen veratme, bekomme ich um 16:19 Uhr einen Anruf von Esther. Sie fährt nun bei sich zu Hause los. Ich bin froh, dass sie nun bald hier ist und freue mich darauf, dass sie die Geburt fotografisch begleiten wird. Mit Anne breite ich gemeinsam den Gebär-Pool aus, den ich extra für die Geburt bei einer Hebammenpraxis geliehen habe. Er ist noch nicht aufgebaut und wir wollen nun so langsam damit beginnen, damit ich dann auch bald ins warme Wasser kann. Nur zwanzig Minuten nach Esthers Anruf klingelt es an der Tür, es ist jetzt 16:40 Uhr, und Esther ist da. Ich begrüße sie mit einem tiefen Schnaufer, denn es rollt gerade eine Welle heran. Esther grinst und meint, es rieche hier schon alles nach Geburt. Ich glaube wir alle konnte ihn nicht mehr leugnen, diesen ganz besonderen Duft, der in der Luft liegt wenn ein Baby geboren wird. Ich finde, er riecht süßlich und ist mit nichts zu vergleichen. Und es stimmt, seit meine Fruchtblase geplatzt ist, riecht es hier in unserer kleinen Wohnung anders. Überhaupt, die ganze Atmosphäre ist anders als in einer Klinik. Wohlig warm,  gemütlich… und dank des Pool-Aufbauens auch ein bisschen wuselig. Ich bin aufgeregt, vorfreudig und gleichzeitig tiefenentspannt.

Niklas ist nun auch wach und hilft uns, den Pool aufzubauen. Er pumpt und pumpt und pumpt, weil ich nicht mitbekomme, dass er die elektrische Pumpe sucht. Irgendwann wird auch Samuel wach und möchte helfen. Er flitzt hin und her, zeigt immer wieder auf den Pool, macht es sich darin gemütlich. Ich glaube für ihn ist alles heute besonders spannend und aufregend.

Weil wir alle Hunger bekommen und ich den ganzen Tag schon Lust auf Burger verspüre, beschließen wir, etwas zu bestellen. Auf kochen hat hier nämlich keiner Lust im Moment. Und wohl auch keine Zeit dafür! Gut, dass McDonald’s neuerdings auch einen Lieferservice hat. Ja, jetzt so richtig ungesund essen, danach fühle ich mich.

Als der Pool fertig aufgeblasen ist, befüllt Niklas ihn mit warmem Wasser. Ich entziehe mich der Situation und gehe ins Schlafzimmer. Dort habe ich die nötige Ruhe mich zu sammeln. Auf meinem Handy starte ich die Hypnobirthing-Playlist, die ich mir in der Schwangerschaft zusammengestellt habe. Ich knie mich vor unser Ehebett, unter mir liegt ein Handtuch um das Fruchtwasser aufzufangen. Jedes Mal wenn eine Welle anrollt, atme ich ganz bewusst tief in den Bauch, mache mich von innen weit, um dem Baby Raum zu geben. Ich bin total fokussiert, nehme alles um mich herum nur noch ganz entfernt wahr. Den Trubel im Wohnzimmer kann ich sogar komplett ausblenden. Ich gebe mich meiner Geburtsreise hin, bin offen für alles was mich erwartet und mache mich weich und weit. Meine Gedanken lasse ich einfach frei.

Samuel kommt aber recht schnell zu mir ins Zimmer. Er merkt, dass Mama heute anders ist und ist ganz anhänglich. Er möchte auf meinen Arm, aber das ist mir zu anstrengend und vor allem während der Wellen mehr als unangenehm. Ich bleibe also in meiner knienden Position und setze ihn mir auf den Bauch. Bei jeder Welle beuge ich mich auf das Bett, so dass ich Samuel für diesen Moment ablegen kann. Ich schließe die Augen und atme tief. Samuel hält dabei ganz still und umarmt mich. Es ist schön, dass er in diesem intensiven Moment bei mir sein kann.

Ich veratme weiter die Wellen, bis das Essen kommt. Wir setzen uns in die Küche und Samuel darf sein erstes Happy Meal verspeisen, findet jedoch das Spielzeug viel interessanter. Ich stelle fest, dass ich es nicht ertragen kann, während der Wellen zu sitzen und stehe daher jedes Mal auf, wenn eine Welle heranrollt. Diese kommen jetzt ungefähr alle drei Minuten. Im Stehen fällt es mir leichter, zu atmen. Mir fällt auf, dass draußen die Sonne immer noch herrlich scheint und ich schiele auf die Uhr. Ali, meine Hebamme, wollte längst hier sein. Zwischen atmen und entspannen mache ich mich über meinen Burger her.
Endlich klingelt es und meine Hebamme ist wieder da. Sie sieht mir direkt an, dass die Wellen intensiver geworden sind und erkundigt sich nach meinem Befinden. Während ich erzähle, muss ich ein paar Mal inne halten, um zu veratmen. Dabei muss ich innerlich lächeln und ein Gefühl der Zufriedenheit überkommt mich. DAS HIER ist so viel schöner als erwartet. Und gleichzeitig so ganz anders. Vor mir sitzen meine beiden Jungs, mampfen Fritten und ich veratme Wellen, während die heiße Mittagssonne durch das Küchenfenster scheint. Ja, noch bin ich völlig zufrieden. Aber ich merke auch, wie ich immer weniger spreche, eher bei mir selbst bin als im Geschehen um mich herum.

Kurz werde ich aus meinem stoischen Ein- und Ausatmen sanft herausgerissen. Ali misst die Herztöne, um zu überprüfen, ob es auch dem Baby gut geht, oder ob es gestresst ist. Aber alles ist in Ordnung. Ich bin in Gedanken also wieder bei diesem Baby, versuche unsere Verbindung zu halten, jetzt, wo ich es nicht mehr spüren kann. Unser Kind ist nämlich ganz ruhig geworden unter der Geburt.

Plötzlich bricht aber Trubel aus in unserer kleinen Wohnung. Ali fragt, ob wir denn keine Folie für den Pool haben. Ich habe mit Niklas Malerfolie besorgt, aber scheinbar benötigen wir eine andere Folie. So dürfen wir jedenfalls den Pool nicht nutzen. Ich bekomme einen leichten Anflug von Panik und kurz Schnappatmung. Soll meine Wassergeburt jetzt wirklich platzen? Ich habe mir das so sehr gewünscht! Kurz habe ich fast Tränen in den Augen, frage ob wir die Folie nicht noch schnell besorgen können. Ali fragt nach. Glück gehabt. Wir dürfen den Pool mit der Malerfolie nutzen und er wird danach professionell gereinigt. Puh. Aber dann gibt es noch ein Problem…

Der Warmwasserboiler ist leer – und der Pool gerade einmal 1/8 befüllt. Verdammt, warum haben wir das nicht bedacht. Der Boiler muss nun erst wieder heizen bevor wir wieder warmes Wasser haben. Niklas kocht also mit dem Wasserkocher heißes Wasser, schleppt Eimer aus der Küche ins Wohnzimmer. Eimer für Eimer. Liter für Liter. Es ist heiß und anstrengend. Und mir definitiv zu viel Trubel.
Ich ziehe mich abermals zurück in unser Schlafzimmer, will lieber für mich sein und mich auf die Geburt konzentrieren. Wie gut, dass ich diesen Rückzugsort habe. Eine kleine Oase der Ruhe. Wieder atme ich ganz bewusst. Jedes Mal wenn eine Welle kommt, gebe mich der Kraft der Wellen hin. Ich knie vor dem Bett als Ali hereinkommt, es ist jetzt 18:15 Uhr. Sie fragt, ob sie mich mal untersuchen dürfe. Tatsächlich ist es das erste Mal, dass sie seit Geburtsbeginn nach dem Muttermund tastet. Ich mache mir noch gar keine Hoffnungen, da die Wellen sehr erträglich sind. Intensiv ja, aber nicht schmerzhaft. Ich lege mich aufs Bett und Ali misst 6 cm! Wow. Ich habe schon mehr als die Hälfte geschafft. Das abgehende Fruchtwasser ist weiterhin klar und meine Körpertemperatur ebenfalls vollkommen in Ordnung. Ali fragt, ob sie mir etwas Gutes tun kann. Ich nicke. Mein Rücken tut weh. Bei jeder Welle zieht es mir in den Lendenwirbelbereich. Ali massiert mich ab jetzt bei jeder Welle, gibt mir sanften Druck  von hinten. Das ist sehr angenehm. Ich starte wieder meine Hypnobirthing-Playlist und lausche den sanften Klängen. Das entspannt mich. Niklas schafft es in all dem Trubel zu mir zu kommen, mir über den Kopf zu streicheln. Er sagt mir, dass ich das toll mache. Ich lächle. Ja, bis jetzt ist alles gut, so wie es ist.

Gegen 18:40 Uhr geht Anne mit Samuel einkaufen. Der will nämlich am liebsten helfen den Pool zu befüllen und wuselt Niklas zischen den Füßen herum. Ich mache mir kurz Sorgen, ob er überhaupt mitgehen wird. Aber er geht mit.

Bald darauf stehe ich auf und gehe ins Wohnzimmer. Ich kann die Kraft der Wellen nun fühlen, stütze mich abwechselnd auf dem Sideboard im Wohnzimmer oder am Türrahmen ab. In einer kurzen Pause erinnere ich mich daran, dass ich meine Blase lange nicht entleert habe und gehe  um 18:48 Uhr zur Toilette. Als ich aus dem Bad laufen möchte, überrollt mich eine heftige Welle und ich hänge mich an Niklas der gerade im Flur steht. Ganz sanft streichelt er mich, bis die Kraft der Welle nachlässt (und flucht anbei wie ein Rohrspatz weil ich ihm bei meiner Umarmung aus versehen indes Auge gepiekst habe). Ich fange an zu lachen, was das Veratmen nicht gerade leichter macht. Bei der nächsten Welle atme ich dann wieder tief, mache mich unten weit. Und dann passiert etwas wunderbares. Ich kann spüren, wie das Baby tiefer rutscht. Ein irres Gefühl. Für mich einer der schönsten Momente der ganzen Geburt, denn er zeigt mir, wie bewusst ich diesmal alles wahrnehme. Ganz anders als bei Samuels Geburt kann ich dadurch meinem Körper vertrauen, fühle genau, was da passiert. Zwischendurch kontrolliert Ali die Herztöne unseres Babys.

Als Ali sagt, dass unser Baby heute noch kommt, macht mich das nervös. Ich schaue Niklas an, verfluche uns, dass wir immer noch keinen Namen für das Baby haben. Weder für einen Jungen, noch für ein Mädchen konnten wir uns bislang auf etwas einigen. Ich kann für einige Minuten an nichts anderes mehr denken und sage immer wieder, dass wir uns jetzt langsam mal einigen müssen, weil unser Baby sonst keinen Namen haben wird – ein schrecklicher Gedanke für mich.  Niklas macht Vorschläge, aber keiner stellt mich zufrieden. Nur noch wie viel… 4 oder 5 Stunden und unser Baby wird da sein. Verrückt. Immer noch völlig unwirklich für mich. Ich versuche mich also nun nicht weiter ablenken zu lassen und konzentriere mich wieder etwas besser.

Es ist jetzt mittlerweile kurz vor 19:00 Uhr, die warme Abendsonne scheint durchs Wohnzimmerfenster. Seit meinem Toilettengang sind gerade einmal 10 Minuten vergangen (was mir erst jetzt beim Niederschreiben des Berichts bewusst wird – in der Realität kam es mir eher vor wie eine halbe Stunde). Ich lache und mache sogar Scherze. „Wenn das mit den Schmerzen so bleibt, bekomme ich noch 15 Kinder!“ sage ich in der Wehenpause. Und meine es auch so. Bislang habe ich keine wirklichen Schmerzen bis auf das unangenehme Ziehen im Rücken. Und ich spüre plötzlich noch etwas. Einen Druck nach unten. Ich bin überrascht. Nein, das kann noch nicht sein. Das Baby kann doch jetzt noch nicht kommen. Wieder dieses Ziehen im Rücken, langsam unangenehmer. Endlich ist der Pool auch wenigstens so weit von Niklas mit den Eimern befüllt worden, dass das Wasser hoch genug ist. Deshalb freue ich mich, dass ich nun endlich in den Pool darf.

Die Wärme im Pool ist angenehm und entlastet mich direkt. Das Ziehen im Rücken wird besser und ich genieße die Geburtsreise wieder völlig, gebe mich den Wellen hin. Ali schreibt und schreibt und ich fange an, etwas lauter zu atmen. Kurz darauf vertöne ich bereits die ersten Wellen. Noch ist mir der Pool aber etwas zu hoch, zu voll aufgeblasen, weshalb Niklas Luft ablässt. Erst dann habe ich es so richtig bequem und kann mich fallen lassen. Ich bin wieder ganz bei mir und dem Baby, spüre, wie es tiefer und tiefer rutscht. Im Pool sieht Ali nochmal nach dem Muttermund und gibt mir die Info, dass der Gebärmutterhals vollständig verstrichen ist. Ich höre, wie sie anschließend die Nummer der anderen Hebamme wählt und sie zur Geburt ruft. So richtig will ich aber noch gar nicht wahrhaben, dass es jetzt wirklich gleich so weit ist.

Niklas bringt mir Wasser und hält meine Hand. Streichelt mir über den Rücken. Ich bin froh, dass er da ist. Er gibt mir ganz viel Kraft. Noch immer rechne ich nicht mit einer baldigen Geburt, will mir keine Hoffnung machen. Ich bin entspannt in den Pausen und vertöne die Wellen gut. Schließlich fragt Niklas, ob er noch schnell duschen gehen kann. Ich bejahe – und bereue meine Entscheidung kurz darauf. Als Niklas noch im Bad ist, verspüre ich mehr Druck nach unten. Ich rufe ich ihm zu, dass er sich beeilen soll. In meiner Stimme ist ein wenig Panik, denn ich merke, dass unser Baby jetzt kommen will. Verdammt, beeil dich, denke ich mir!

Meine Hebamme ist die ganze Zeit bei mir, kniet neben dem Pool und wartet mit mir auf Niklas, sagt mir, dass ich das gut mache. Ich glaube auch sie hofft, dass Niklas schnell wieder aus der Dusche zurück ist.

Alles Liebe,
eure Jasmin

Alles Liebe,
eure Jasmin

Hier geht es zu Teil 4.

Alle Bilder sind von Esther Mauersberger, unserer Geburtsfotografin, geschossen.