Schließlich fragt Niklas, ob er noch schnell duschen gehen kann. Ich bejahe – und bereue meine Entscheidung kurz darauf. Als Niklas noch im Bad ist, verspüre ich mehr Druck nach unten. Ich rufe ich ihm zu, dass er sich beeilen soll. In meiner Stimme ist ein wenig Panik, denn ich merke, dass unser Baby jetzt kommen will. Verdammt, beeil dich, denke ich mir!

Meine Hebamme ist die ganze Zeit bei mir, kniet neben dem Pool und wartet mit mir auf Niklas, sagt mir, dass ich das gut mache. Ich glaube auch sie hofft, dass Niklas schnell wieder aus der Dusche zurück ist. (Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3)

Ali ist einfach da. Ihre Nähe tut mir gut. Ich atme, veratme. Mir geht das alles zu schnell. Wie kann es sein, dass das Baby jetzt schon kommen will. Und verdammt! Wo bleibt Niklas? Ich versuche mich nicht zu sehr ablenken zu lassen und konzentriere mich. Der Druck wird immer größer. Ali sagt, dass ich dem Drang nachgeben darf und ruhig mitschieben, wenn ich will. Ich nicke. Bin wie in Trance. Vielleicht ist es genau dieser Zustand, von dem beim Hypnobirthing immer die Rede war? Selbsthypnose. Ja, ich denke ich bin wie hypnotisiert. Nehme den Raum um mich herum kaum noch wahr. Alles wird klein und eng. Mein Sichtfeld beschränkt sich auf einen halben Meter. Alles darum blende ich vollkommen aus. Ich bin immer noch schmerzfrei. Ich atme ein. Und aus. Und ein. Und aus. Die Trance lässt mich die Wellen gut aushalten während ich auf Niklas warte.

Endlich ist Niklas da. Ich spüre, wie er meine Hand fasst und mir über den Rücken streichelt. Ganz sanft. Light touch, sanfte Berührung – die Massage haben wir im Hypnobirthing Kurs gelernt. Er berührt mich dabei kaum und doch weiß ich, er ist da. Die ganze letzte Anspannung der letzten Minuten in welchen ich mich zurückgehalten habe fällt jetzt von mir ab und ich lasse los. Lasse mich jetzt vollkommen treiben von der Kraft der Wellen. Ich vertöne die nächsten Wellen nun auch etwas lauter während die gleißende Abendsonne durchs Fenster scheint. Und plötzlich bin da nur noch ich in dem Pool mit meinem Baby im Bauch und meinem Partner neben mir. Wir sehen uns an und ein Schauer der Vorfreude übermannt mich.

Dann nehme ich aus dem Augenwinkel wahr, wie Ali den Stuhl bei Seite räumt auf dem sie saß. Im Backofen werden Handtücher vorgewärmt und einige andere Dinge direkt neben dem Pool drapiert.  Ich weiß nun, dass es nicht mehr lange dauern wird. Da fällt mir auch wieder ein, dass ich die Kerzen nicht angezündet habe und die Öle nicht aufgestellt. Auch egal. Aber dann fällt mir etwas ein, das mir ganz und gar nicht egal ist. Nämlich, dass Samuel ja noch gar nicht mit Anne zurück ist.

Ich schreibe also Anne in der sehr kurzen Pause zwischen zwei Wellen eine Nachricht per WhatsApp, dass sie bitte schnell zurück kommen soll. Nach der nächsten Welle stelle ich fest, dass sie meine Nachricht noch nicht gelesen hat. Mist, denke ich. Ich will nicht, dass Samuel alles verpasst und rufe deshalb um 19:37 Uhr Anne in der nächsten Wehenpause an. „Kommt ihr zurück?“, ist das einzige was ich gerade noch ins Telefon sagen kann, dann überrollt mich eine heftige Welle und ich lasse das Handy aus der Hand fallen. Wie ich später erfahren habe, haben mein Anruf und die Art wie ich diesen Satz sagte Anne dazu veranlasst seeehr schnell zu uns nach Hause zu laufen. 

Die Intensität der Wellen hat in den letzten Minuten stark zugenommen. Zu meinen lauten Ohhhhhhhhhs kommt nun ein unaufhaltsamer Druck nach unten. Um 19:39 Uhr beginne ich in einer Welle ganz sanft mitzuschieben. Diesmal habe ich nicht wie bei Samuels Geburt Schmerzmittel intus und so kann ich jeden Zentimeter fühlen, den mein Baby durch den Geburtskanal rutscht. Es tut weh. Ich spüre den harten Schädel und kann fühlen, wie er sich seinen Weg nach unten bahnt. Verdammte Scheiße. Das tut echt weh. Ich kann spüren, dass der Kopf immer tiefer und tiefer kommt, spüre die Enge des Geburtskanals und einen Schmerz von Knochen auf Knochen. Und für einen kurzen Moment halte ich inne, sage, dass ich Angst habe. Aber meine Hebamme ist da. Sie holt mich sofort aus meiner Angst und macht mir Mut. Niklas hat meine Hand fest umschlungen und sendet mir viel Kraft. Wir wissen beide: wir werden gleich zum zweiten Mal Eltern eines wunderbaren Erdenkindes.

Zwischen zwei Presswehen kontrolliert Ali die Herztöne. Dafür muss ich kurz auf die Knie gehen, denn das Gerät ist nicht wasserdicht. Ich habe Schmerzen und kann mich kaum hochhiefen. Aber es klappt und wir haben Gewissheit dass es dem Baby gut geht.

Bei der nächsten Welle habe ich wieder große Schmerzen. Ich fluche. Das alles kostet mich gerade sehr viel Kraft. Ali schützt behutsam den Damm während ich die Welle heranrollen lasse. Ich muss nicht mal großartig mitschieben, sondern lasse meinen Körper einfach arbeiten, mache mich weit. Und dann kann ich zwischen meinen Beinen hindurch den Kopf fühlen. Er ist noch nicht geboren aber mit der nächsten Welle werde ich das Köpfchen herausschieben können. Er fühlt sich weich und glitschig an und er hat so viele Haare. Ein unfassbares Glücksgefühl durchströmt meinen Körper. Ich lächle und sage zu Niklas „Ich kann den Kopf fühlen. Gleich ist unser Baby da!“

Ich merke, dass mich mein Shirt beengt, das ich die ganze Zeit getragen habe und will es ausziehen. Im BH fühle ich mich freier und kann wieder besser atmen. Genau in dem Moment geht die Tür auf und unser Samuel stürmt herein. Sekunden, nachdem ich das Köpfchen fühlen konnte. Es ist 19:42 Uhr. Er setzt sich auf Nikals‘ Schoß direkt neben meinem Kopf und schaut ganz gespannt auf mich. Mist, genau jetzt wo ich Schmerzen habe ist unser Einjähriger zurück. Ich begrüße ihn mit einem halbwegs freudigen „Hallo mein Schatz!“ bevor mich die nächste kraftvolle Welle überrollt, in der der Kopf geboren wird.

Scheiße tut das weh. Der Moment zwischen zwei Presswehen ist für mich das schlimmste an der Geburt. Alles brennt und ab der Hüfte fühle ich kurz nur noch Schmerz. Ich fluche. Laut. Samuel erschreckt sich und fängt an zu weinen. Sagt „Mama laut!“ Aber Niklas gibt ihm ganz viel Liebe und erklärt ihm, dass Mama das Baby ganz laut ruft. Ich lächle Samuel an, um Niklas‘ Worte zu bestätigen und sage „Mami ruft das Baby gleich ganz laut! Aber es ist alles okay, Mami geht es gut!“

Die nächste Welle rollt heran und ich bin abermals sehr laut. Scheiße, ich kann mich jetzt nicht zusammenreißen. Will ich auch nicht. Niklas kümmert sich um Samuel und ich …

drehe mich…

langsam

zu meinem Baby um. 19:52 Uhr.

Unserem Baby. Ich fange es mit Ali auf. Mein Baby. Es wurde in meine Arme geboren. Behütet und sanft. Noch mit dem Gesicht unter Wasser betrachte ich es voller Ehrfurcht, voller Liebe. Ich will es am liebsten sofort an mich drücken und gleichzeitig nicht aus dem geschützten Raum  herausholen. Für einen Moment gibt es nur uns beide und dann und hebe ich mein Baby langsam zu mir an die Brust. Ich zelebriere diesen kurzen wunderbaren Moment für mich, der mir Dank der Trance wie eine halbe Ewigkeit vorkommt. Da liegt mein Baby im Wasser vor mir, in meinen Händen. Vollkommen. Und dann spüre ich den warmen Körper an mir.

Ich hebe unser Kind schließlich aus dem Wasser und lasse mich nach hinten auf den Po fallen. So kann ich mich an der Wand des Pools anlehnen. Ich betrachte dieses kleine lila Bündel in meinen Armen und atme durch. Noch regt sich nichts. Ich flüstere „Atme! Du musst atmen.“ Und dann ertönt eine kleine zarte Stimme. Der erste Schrei.

Ein zartes Bündel Leben in meinen Armen. Der Rücken noch voll Käseschmiere und von Sekunde zu Sekunde verändert sich die Hautfarbe. Ich beobachte, streichle, bin glücklich. Niklas ist glücklich und hält den großen Bruder im Arm, dankbar für die schnelle Geburt.

Schließlich klingelt es an der Tür. Die zweite Hebamme ist da. Sie übernimmt nun die Dokumentation während sich Ali um alles kümmert. Und sie bringt die frischen warmen Handtücher aus dem Backofen. Ich nehme sie kaum wahr, bin viel zu sehr mit meinem Wunder beschäftigt. Niklas streichelt meinen Arm und unser Baby. Er ist so stolz auf uns beide. Samuel sitzt noch immer auf Niklas‘ Schoß und klammert sich an. Er hat sich aber mittlerweile beruhigt und zeigt auf mich. „BABY!“ ruft er.

Und da öffnet unser Baby die Augen. Es ist dieser Moment, den man nie vergisst. Wenn sich die Blicke von Mama und Kind treffen und beide sagen „Das hast du gut gemacht!“ Dieser allwissende tiefe Blick eines Neugeborenen ist einmalig und verzaubert mein Mamaherz.

Meine Hebamme steht hinter mir, beobachtet, lässt uns Zeit. Als sie nach der Nabelschnur sehen will, entdecke ich etwas. „Es ist ein Junge!“ rufe ich. „Schatz, wir haben einen Jungen bekommen!“ Wir lachen. Ein kleiner Bruder für Samuel. Ja, wir sind überglücklich!

Hier folgt Teil 5.
Eure Jasmin

Alle Fotos sind von Esther Mauersberger