Geschwisterrivalität

– warum sie normal ist & was du für ein friedliches Miteinander tun kannst

Geschwisterrivalität – für Familien mit mehreren Geschwisterkindern ist sie eine Herausforderung im Alltag, denn ständiger Streit unter Geschwistern kann frustrierend und nervraubend sein. Ein konfliktreicher Alltag ist letztlich stressig für alle Familienmitglieder und die Harmonie wird herbeigesehnt. Diese Harmonie ist leider gar nicht so einfach herzustellen, denn Geschwisterrivalitäten sind eine ganz normale Sache. 

Gib das zurück!
Das ist unfair!
Hör auf!
Er hat mich gehauen!
Er will nicht teilen!
Ich hatte das zuerst!

Anja Wilhelmi Fotografie-68

Streit unter Geschwistern – ganz normal

Geschwister streiten aus verschiedenen Gründen, jedes Kind hat außerdem seine eigenen Bedürfnisse und seinen ganz individuellen Charakter, der ihn bei der Konfliktlösung auch leitet. Geschwisterkinder streiten sich im Schnitt ungefähr sechs Mal pro Stunde – das kann bei einem langen Tag ganz schön oft sein. Der häufigste Grund für Streitereien zwischen Geschwistern ist gar nicht die Situation an sich, sondern das Gefühl beim Kind, zu wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. – Manchmal sind wir Eltern gedanklich nur halb da, das merken die Kinder. Streiten sie sich, dann haben sie plötzlich die volle Aufmerksamkeit. Diese Tatsache lernen sie sehr flott.

Geschwisterkinder werden außerdem viel zu oft allein gelassen und schaffen es noch nicht, Konflikte allein zu lösen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Konflikte zwischen meinen beiden Jungs oft dann entstehen, wenn ich gerade beschäftigt bin und nicht sofort in der Situation schlichten kann. Dann koche ich zum Beispiel gerade oder bin auf der Toilette und einer möchte das Spielzeug vom Anderen haben. Aber solche Dinge können Kinder im Alter von zwei oder auch vier Jahren noch gar nicht lösen. Soziale Fähigkeiten sind nicht von heute auf morgen zu erlernen, sondern brauchen Jahre, um sich zu manifestieren. Kinder brauchen also immer wieder unsere Hilfe und unsere Begleitung in solchen Momenten. Ein „Schau doch mal, ob deine Schwester gegen ein anderes Pferd tauschen möchte.“ kann da manchmal schon der Schlüsselsatz sein, auf den das Kind gerade selbst nicht kommt.
Und wenn wir ehrlich sind, haben wir Erwachsenen uns oftmals auch nicht unter Kontrolle – es ist also hilfreich, wenn wir auch auf uns selbst schauen und dazulernen. 

Geschwister sind nur Menschen, die in die selbe Familie geboren wurden

Als ich mit Samuels Geschwisterkind schwanger war, habe ich mir ausgemalt, wie die beiden zusammen spielen. Um ehrlich zu seine, eine sehr romantische Vorstellung. Ich dachte, wenn ich Samuel von Beginn an in alles einbinde, wird das Band ganz schnell sehr eng sein und die beiden ein Herz und eine Seele werden. Was wir Eltern dabei aber oft vergessen, ist, wie heftig so eine Umstellung für das ältere Kind sein muss.  Und deshalb sind solche idyllischen Geschwistermomente wie oben im Bild auch eher selten. 
Stell dir mal vor, dein Partner kommt eines Abends mit einer völlig fremden Frau nach Hause und sagt dir, dass diese nun mit euch zusammenwohnen würde. Dass du deine Kleider und deinen Schmuck, dein Make-Up mit dieser Frau teilen sollst. Dass sie bei euch im Bett schläft und er sie nun genauso liebt, wie dich. Tja, da würdest du wahrscheinlich ziemlich blöd aus der Wäsche gucken und wärst sehr frustriert und wütend. Aber letztlich ist es bei Geschwistern gleich. Sie müssen plötzlich mit jemandem zusammenwohnen, den sie sich nicht ausgesucht haben – mit dem Unterschied, dass sie nicht einfach die Koffer packen und ausziehen können.
Hinzu kommt, dass sie sehr oft teilen müssen. Alte Kleidung muss an das Geschwisterkind abgegeben werden  und Spielzeug soll liebevoll geteilt werden. 

Wenn man sich mal vor Augen führt, wie absurd das für das ältere Kind sein muss, kann man ganz sicher die Frustration besser nachvollziehen und damit bei Streits auch bedürfnisorientiert reagieren. Die wahre Ursache für die Rivalität der Geschwister ist also ehr darin begründet, dass wir ERWARTEN, dass sie verständnisvoll mit dem neuen Familienmitgleid umgehen. Das Problem ist, dass wir Erwachsenen häufig Kinder nicht als vollwertige Menschen betrachten. Wir betrachten sie als Kinder, erwarten jedoch, dass sie sich in den schwierigsten Situationen wie Erwachsene verhalten. Die Geburt eines neuen Geschwisters ist nur eine dieser Situationen, in denen von den Kleinsten erwartet wird, dass sie sich anpassen. Wir berücksichtigen jedoch häufig nicht das volle Ausmaß der Gefühle, die bei der Geburt eines neuen Geschwisters auftreten können. Die Geburt eines neuen Geschwisters ist buchstäblich eine unbekannte, neue Welt für das ältere Kind. Alles, was es wusste, schätzte und liebte, änderte sich an einem einzigen Tag. Es ist eine Bedrohung für seine Seele, für seine tiefsten Bedürfnisse – ja, das hört sich hart an. Ist es auch. Ab sofort muss es um das kämpfen, was ihm zuvor auf einem silbernen Tablett serviert wurde – deine Liebe, deine Verbindung, deine Bindung. Wir Eltern müssen also achtsam sein, die Bedürfnisse des älteren Kindes nicht außer Acht zu lassen. Eine Mammutaufgabe.

Anja Wilhelmi Fotografie-67

Arten zu streiten

Zwischen Geschwistern gibt es Situationen, die sie selbst lösen können, aber häufig auch Situationen, in denen wir als Eltern eingreifen müssen. Es gibt drei Stufen von Konflikten, die wir dabei unterscheiden können. 

Beim harmlosen Konflikt, zum Beispiel kleineren Zankereien, können wir durch Rückfragen unterstützen. Das können kleine Piesackereien sein, Dinge, bei denen alles noch gewaltfrei läuft. Hier kannst du als Elternteil fragen:
„Ist alles in Ordnung?“
„Braucht ihr mich?“
„Braucht ihr Hilfe?“

Ist der Konflikt schon so heftig, dass geschubst wird, böse Worte fallen, müssen wir sofort eingreifen und die Situationen mit einem klaren „Stopp!“ beenden. Hier reicht es auch nicht, die Situation nur zu schlichten, sondern es ist zusätzlich wichtig, dass wir unsere Kinder Coachen. 
„Schau, Samuel, Mio hatte das Spielzeug zuerst. Schau doch mal, ob du etwas findest, gegen das er tausch möchte!“
„Du bist aber gerade sauer. Hauen und schubsen tut weh! Stampf doch lieber mit dem Fuß!“
„Ich sehe, dass dir langweilig ist. Samuel zu ärgern ist aber keine Option. Komm, ich spiele mit dir.“

Überleg dir einfach Bausteine, die du in solchen Situationen gut verwenden kannst.

Bei gefährlichen Situationen müssen wir natürlich ebenfalls sofort eingreifen und coachen. Hier ist es auch ganz wichtig, die Situation ganzheitlich zu betrachten und herauszufinden, was los war. Den wahren Grund zu erkennen ist manchmal gar nicht leicht. Ist es die Angst, den Platz in der Familie zu verlieren? Ist es die große Veränderung, die das Kind stresst? Herrscht zu viel Druck? Gibt es gerade sehr viele Termine/ Stress? Hat Papa/ Mama gerade weniger Zeit als sonst?
Ich hatte beispielsweise erst vor kurzem so einen Haushaltstag. Meine To-Do war lang, ich wollte viel schaffen und hatte weniger Zeit für die Kinder – prompt haben sie sich richtig heftig gefetzt. Hier also wenn möglich einen Gang zurückschalten und die Harmonie wieder ins Gleichgewicht bringen.

Die Aufgabe der Eltern

Unsere Aufgabe als Eltern ist es also, hinzusehen, stopp zu sagen und soziale Regeln zu schaffen. Gewisse Dinge sind einfach nicht in Ordnung und das müssen wir klar kommunizieren. Merken wir, dass die Impulskontrolle noch nicht weit genug ausgereift ist, müssen wir hier unterstützend vorgehen. Kinder unter sechs Jahren können noch nicht in jeder Situation empathisch reagieren. Sie müssen Empathie noch ganz viel üben. Das heißt, dass ein Kind zwar grundsätzlich sehr empathisch sein kann, in Stresssituationen jedoch nicht mehr. Die fehlende Impulskontrolle hindert dann das Empathievermögen und das Kind weiß einfach in dieser Situation nicht mehr, dass hauen schlichtweg weh tut. 

Eltern müssen eingreifen und ihre Kinder vor Beleidigungen, Aggressionen und Mobbing schützen, die sie sich gegenseitig an den Kopf werfen. Kinder sind darauf angewiesen, dass ihre Eltern sie vor Verletzungen schützen. Teil der elterlichen Verantwortung ist es, den Kindern das sichere Gefühl zu geben, dass die Eltern da sind und nicht zulassen, dass sich die Menschen, die sie am meisten lieben, gegenseitig verletzen.

Sei nicht zu hart zu dir

Wenn du nun das Gefühl hast, bei Streitereien deiner Kinder bislang nicht gut reagiert zu haben, dann möchte ich dir sagen: allen Eltern geht es so.Erst mal müssen wir uns als Eltern von mehreren Kindern im neuen Alltag zurecht finden. Uns neu als Familienmitglied finden. Und ja, viele Situationen sind womöglich erst mal überfordernd, aber an diesen wirst du wachsen. Mit jedem einzelnen Mal. Lass dir gesagt sein, dass du gut bist, denn du gibst jeden Tag dein Bestes.

Alles Liebe,

Jasmin