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Ich bin immer lieb und geduldig. Konflikte regle ich immer friedlich und ich bin niemals überfordert. Äh ja ne, ist klar! Glaubt mir doch kein Mensch – und das ist auch gut so!

Ich bin lange nicht perfekt. Ja, ich habe meine Prinzipien in Sachen Erziehung, die ich einhalten möchte. Nicht schreien. Verständnisvoll sein. Und um Gottes Willen niemals Gewalt anwenden – egal ob psychisch oder physisch. Nur manchmal gelingt es mir nicht immer, all diesen Prinzipien treu zu bleiben.

Es ist Freitag Morgen. Die Woche war mit Uni und Haushalt neben meiner aktuellen Schwangerschaft sehr anstrengend. Samuel weckt mich, in dem er mir seine Wasserflasche ins Gesicht haut und lacht dabei. Ich reibe mir den Kopf und sage ihm in ruhigem Ton, dass er nicht hauen darf, dass es Mama weh tut und dass er mir die Flasche geben soll. Tut er auch, aber kurz darauf haut er mich wieder – diesmal mit der Hand ins Gesicht. Das ist nicht okay, gar nicht. Bei uns gilt die Regel, dass nicht gehauen werden darf. Ich halte seinen Arm fest – nicht zu fest, gerade so, dass er mir nicht erneut eine wischen kann – und erkläre ihm den Sachverhalt nochmal. Das wiederholt sich drei Mal. Ich setze ihn schließlich aus dem Bett auf den Boden und ignoriere ihn für ein paar Sekunden.
Wir gehen in die Küche, um wie jeden Morgen gemeinsam zu frühstücken. Samuel bekommt ein Käsebrot und Wasser. Das passt ihm nicht. Er zerpflückt das Brot und schmeißt es auf den Boden.  Er mault und beschwert sich, steht in seinem Hochstuhl auf. Ich sage bestimmt, dass er sich setzen soll und gebe ihm etwas Wurstbrot und ein Stück Banane – sein Lieblingsobst – um ihn zu beruhigen. Er matscht sich voll aber isst wenigstens etwas davon. Die Flasche mit Wasser pfeffert er wütend auf den Boden – das Brot ist nämlich alle. Ich schmiere ihm ein weiteres. Endlich ist mal ein paar Minuten Ruhe und ich kann auch ein paar Bissen essen.
Danach ziehe ich ihn an, wir haben Spaß auf dem Wickeltisch. Unser morgendliches Ritual ist fest im Tagesrhythmus eingeplant. Wir suchen gemeinsam Kleidung aus, singen ein Lied, Körperpflege, anziehen und dann darf Samuel spielen. Das klappt gut und ich bin erleichtert. Wir spielen mit den Lego-Primo Steinen und lesen ein paar Bücher, bis Samuel sich am Ohr krabbelt und müde die Augen reibt. Zeit für den ersten Mittagschlaf, denke ich. Da Samuel zur Zeit schlecht in seinem Zimmer schläft, lege ich mich gemeinsam mit ihm in unser großes Bett. So eingekuschelt sollte er bald einschlafen.
Als nach einer Stunde ein total übermüdetes Kind immer noch nicht in den Schlaf gefunden hat, bin ich langsam ziemlich erledigt. Samuel zieht an meinen Haaren, legt sich auf mein Gesicht, auch wenn ich zum wiederholten Mal gesagt habe, dass er das bitte sein lassen soll. Er wirft sich hin und her und sucht ständig einen Weg nicht einschlafen zu müssen. Wieder haut er mich und lacht dabei. Ich werde sauer, sehe rot. Irgendwann reicht es mir, ich packe ihn und ich setze ihn – wohl eher grob – in sein Bett, sage wütend, dass es mir reicht und schließe die Tür hinter mir. Puh. Ich muss durchatmen.

Ich setze mich ins Wohnzimmer und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Ich höre, wie Samuel in seinem Zimmer brüllt und nach mir ruft. Mein schlechtes Gewissen meldet sich. Scheiße! Was habe ich gemacht? Wie konnte ich mich so gehen lassen, so wütend auf Samuel werden, dass mir kein anderer Ausweg einfiel?  Ich atme ein paar Mal ganz tief ein und aus und versuche mich zu beruhigen. Dann gehe ich in Samuels Zimmer, wo er mich völlig aufgelöst aus seinem kleinen Bettchen heraus ansieht. Das Gesicht ist voller Tränen, die ich schnell wegküsse. Ich halte ihn fest und drücke ihn, sage ihm, dass es mir leid tut.

Ich habe lange über Situationen wie diese nachgedacht. Situationen, in denen ich die Fäuste ballte, ins Kissen schrie und weinte und sehr verzweifelt war. Ich glaube, dass man Kinder nicht in Watte packen muss, um ihre kleine Kinderseele zu schützen. Aber Gewalt und schreien ist keine Lösung und soll auch für uns keine Lösung sein. Daher habe ich mir ein paar Strategien überlegt, die uns alle vor solch einer erneuten Situation bewahren sollen.

Was mir hilft:

  • Ich muss meistens erstmal Raum gewinnen. Oft hilft es mir, aus dem Zimmer zu gehen. Wenn das nicht möglich ist, weil Samuel weint, gehe ich an die frische Luft mit ihm. Samuel kann sich im Wagen beruhigen und ich merke, wie meine energischen wütenden Schritte nach einer Weile kontrollierter werden und ich wieder runter komme.
  • Ganz bewusst ein- und ausatmen hilft mir, mich wieder zu entspannen. Kontrolliertes Atmen, am besten vor dem geöffneten Fenster bringt mehr Sauerstoff zum Gehirn und man kann überlegter und kontrollierter handeln.
  • Überforderung bewusst machen. Ich versuche zu akzeptieren, wenn ich mit einer Situation überfordert bin. Das hilft mir manchmal schon, denn dann kann ich weitere Schritte einleiten.
  • Auszeit. Zeit für mich ist sehr wichtig, denn wenn ich gestresst bin, flippe ich in Konfliktsituationen schneller aus. Manchmal hilft es, ein Buch zu lesen oder ein warmes Bad zu nehmen. Auch ein Nachmittag oder Abend mit Freunden kann hilfreich sein.

Wenn ich entgegen meiner eigenen Erziehungsgrundsätze handle, hilft mir nur eins: meine Akkus wieder aufzuladen und mir ganz bewusst zu machen, wie ich in einer Situation handeln möchte. Solange solche Ausrutscher nur selten passieren und dabei keine Gewalt erfolgt, ist es für mich okay. Ich will damit nicht sagen, dass mein Handeln gut ist, sondern dass es mal passieren kann. Aber dann sollte man sich eingestehen, dass man einen Fehler gemacht hat und versuchen, in Zukunft anders zu handeln.

Welche Tipps habt ihr, wenn eure Kinder euch zur Weißglut treiben?

Alles Liebe,
eure Jasmin