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In meiner Schwangerschaft mit der Babyavocado habe ich mir sehr oft die Frage gestellt, ob ich das Baby genauso lieben werde, wie Samuel. Wird dieses zweite Kind genauso schön? Wird es genauso liebenswert? Wie kann diese Liebe plötzlich durch zwei geteilt werden? Es klingt vielleicht blöd, aber diese Frage hat mich einfach beschäftigt. Meine Freunde haben mich beschwichtigt und mir gesagt, dass diese Gedanken unbegründet sind, dass sich die Liebe einfach mit der Geburt verdoppelt. Das tat gut und hat mich voller Vorfreude auf unser Babymenschlein warten lassen. Dass dann alles anders kam – damit habe ich nicht gerechnet.

Bevor ihr diesen Text lest, müsst ihr wissen, dass ich beide Kinder von ganzem Herzen liebe. Aber während ich in die Liebe zu Samuel einfach hineingefallen bin, wie ein Kind im Sommer ins kühle Nass im Freibad hüpft, war es bei Mio wie die ersten Versuche auf ein Klettergerüst zu kommen. Ich bin gestrauchelt, abgerutscht und dann saß ich da und kam nicht hinauf. Beide Kinder haben wir mit unglaublicher Freude empfangen, aber beim zweiten Kind war es einfach nicht mehr so unbeschwert. Nicht so wie erwartet. Ich möchte mit diesem Beitrag keiner Mama da draußen Angst machen oder sie verunsichern, wenn sie kurz vor der Geburt eines zweiten Kindes steht. Aber wie es mit dem Mama-Sein eben so ist: wir haben alle ähnliche Sorgen, aber wir sind doch irgendwie verschieden. Und jede von uns fühlt und denkt anders. Ich habe für mich gelernt, dass ich als Mama stetig mit meinen Aufgaben wachse, dass ich eben so bin, wie ich bin und nicht plötzlich jemand anders sein kann. Und ich weiß nun, dass ich gewisse Dinge eben erst fühle, wenn ich sie fühle. Heute möchte ich ganz ehrlich und ungeschönt von meinen Sorgen und Ängsten berichten, die mich in den ersten Monaten von Mios kleinem Leben begleitet haben, möchte davon erzählen, wie das bei uns eigentlich mit der Liebe zu den beiden Kindern war. Mir fällt es nicht leicht, hierüber zu schreiben. Ganz sicher nicht. Aber ich hoffe so sehr, dass mein Beitrag wenigstens einer anderen Mama, die genauso fühlt wie ich, die Schuldgefühle nehmen kann. Du bist nicht allein!

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Mein Cursor tickt und tickt. Wie oft saß ich hier, an diesem Punkt, ein Glas heißen Tee in der Hand und einem Lächeln auf dem Gesicht? Dann Tränen. Tränen der Schuld und der Verzweiflung und der Wut. Einsam. Allein mit meinen Gefühlen. Durcheinander. Wie oft bloß? Ich muss zugeben, dass ich aufgehört habe, zu zählen.

Mutterliebe, so heißt es, ist bedingungslos und warmherzig. Sie füllt einen aus, vom ersten Moment, an dem dieses kleine Wesen zur Welt kommt und man es in seinen Armen hält. So oft erinnere ich mich lächelnd an den Tag im Kreißsaal, als mein kleiner Samuel geboren wurde. Es war morgens, die Sonne ging auf, ich war verschwitzt und heiser vom Stöhnen unter den Schmerzen und völlig fertig – und gleichzeitig glückselig, es geschafft zu haben. Mein Baby im Arm zu halten. Und so schnell wie dieses Baby in unser Leben gekommen war, so schnell kam auch die Liebe. Es war ein wahrhaftig überwältigendes Gefühl. Ja, es war rein und bedingungslos und warmherzig. Mutterliebe eben, so wie jeder von ihr erzählt. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich diesem kleinen Zauberjungen bereits gesagt habe, dass ich ihn liebe. Von ganzem Herzen liebe, genau so, wie er ist. Ich glaube, er war gerade mal ein paar Stunden alt, oder auch nur einige Minuten, als ich es das erste Mal sagte. Ich weiß noch, wie ich ihn ansah und er einfach nur perfekt für mich war. Mein kleiner Babylöwe. Mein Samuel.

Mutterliebe. Die Liebe, die sich einfach verdoppelt, wenn ein weiteres Kind kommt, so heißt es. Mutterliebe, so bedingungslos und warmherzig, nur eben plötzlich doppelt so stark. Doppelt so heftig. Doppelt so schön. Im Herzen ist Platz für viele Kinder, das las ich in meiner dritten Schwangerschaft immer wieder. Ja, unser Sternchen hat einen festen Platz in unserem Herzen, auch wenn wir es nie gesehen haben, nie halten durften. Deshalb war ich mir auch so sicher, dass ich auch dieses dritte Kind würde lieben können. Von ganzem Herzen lieben.

Aber noch während der Schwangerschaft wuchs das Gefühl von Schuldgefühlen und Angstzuständen. Wie könnte ich ein anderes Kind so überwältigend lieben wie dieses erste? Wie könnte ich die unvermeidlichen Vergleiche zwischen ihnen, zwischen meinen Emotionen tolerieren? Ich hatte Angst, dass ich mich zwischen zwei Kindern aufteilen müsse. Ich wollte mich unbedingt wohl fühlen in der Schwangerschaft und sagte mir immer wieder, dass es mit dem neuen Baby genauso magisch sein würde wie beim ersten Kind.
Aber tief in mir war ich traurig bei dem Gedanken, dass es nicht mehr nur mein Sohn und ich sein würden, die jeden einzelnen, besonderen Moment miteinander teilen würden. Nein, da wäre nun auch ein Baby. Ich wusste, dass ich mein neues Baby lieben würde, das war keine Frage. Aber die ungeteilte Zeit, die ich in den ersten zwei Jahren im Leben meines Sohnes hatte, musste ich diesmal nun halbieren und zwischen zwei Kindern aufteilen. Der Gedanke war schlimm für mich. Und dennoch hatte ich Hoffnung. Hoffnung, weil alle immer sagen: die Liebe bleibt nicht gleich, sie verdoppelt sich einfach!

Und dann kam der Tag der Geburt.

Eine magische Geburtsreise, fast genau so, wie ich sie mir gewünscht hatte. Wir empfingen dieses dritte Kind geborgen zu Hause in unserer kleinen Großstadtwohnung. Unser Regenbogenbaby, so lange erhofft, so sehr gewünscht. Ich war so glückselig, so erleichtert, dass die Hausgeburt so wundervoll war und ich war glücklich über dieses Kind in meinem Arm. Nackt lag es da und trank an meiner Brust, durchs Fenster schien die warme sommerliche Abendsonne und wir kuschelten und stillten uns in die Nacht hinein. Idylle, Wärme und Geborgenheit.
Ja, mein Baby war perfekt. Es war pink und runzlig, mit großen runden Augen und so vielen schönen schwarzen Haaren. Die kleinen Finger und Füßchen waren perfekt und der Duft nach Baby erfüllte den ganzen Raum. Ja, ich war glücklich, denn unser kleiner Junge war perfekt. Seine Hände griffen nach meinem Finger und sein süßes Köpfchen passte in die Mulde an meiner Schulter. Alles war vollkommen.

Nur, wo war die Liebe?

Kein „Ich liebe dich.“ Kein „Mama liebt dich.“ Von dieser verdoppelten Liebe, von der alle sprechen war keine Spur zu sehen. Zu Anfang glaubte ich, dass es vielleicht daran lag, dass unser Baby noch keinen Namen hatte. Der erste Tag verging und wir hatten einfach keinen Namen, keinen, der passte. Es war komisch, das Kind nicht mit einem Namen anzusprechen, sondern immer nur „das Baby“ zu nennen. Der zweite Tag kam und ich drängte Niklas dazu, endlich eine Entscheidung zu treffen, gemeinsam.
MIO OSCAR. Der Liebenswerte, Anmutige, Reizende, von Gott beschützt. So sollte unser kleiner perfekter Junge heißen. Endlich hatten wir einen Namen gefunden – aber diese überwältigenden Muttergefühle, wie ich sie beim ersten Kind hatte, blieben aus.
Natürlich liebte ich dieses Baby, ich war so froh, es endlich im Arm halten zu dürfen. Alles war schön, wir waren in unserer wolkig weichen Babyblase. Aber da war noch immer nicht diese enge Vertrautheit, nicht diese Nähe. Nicht die bedingungslose Liebe, die Mutterliebe, die da doch eigentlich sein müsste! Wo war sie nur? Warum fühlte ich statt ihrer nur so eine Leere? Diese Frage beschäftigte mich viel.
Und zwischen all den Gedanken, der Verzweiflung und der Wut über mich selbst fragte ich mich, warum ausgerechnet Mio bei uns sein durfte, aber unser Sternchen nicht. Ich fragte mich, warum ich nicht das selbe empfand, wie bei Samuel damals. Warum dieses schöne Gefühl, von dem alle sprachen, einfach nicht eintreffen wollte! Verdammt, was war ich nur für eine Mutter, die ihr Kind nicht liebte? Oh, was habe ich geweint in den ersten Tagen! Wie sehr habe ich mich schuldig gefühlt! Es fühlte sich so falsch an, fast, als wäre ich gerade am falschen Ort. Ich sprach mit Niklas darüber und auch mit meiner Hebamme.

Weißt du, Jasmin, sagte sie. Du und er, ihr müsst euch erstmal kennen lernen. Wäre es nicht viel zu viel verlangt, wenn du jemanden lieben müsstest, den du gar nicht kennst? Gib euch Zeit und du wirst sehen, dass sich alles fügt.

Diese Worte gaben mir Zuversicht. Ich fühlte mich nicht mehr ganz so schlecht. Und sie sollte Recht behalten.
Wir lernten uns kennen, tasteten uns an einander heran und ganz bald schon merkte ich, wie dieses kleine Wesen, das mich so sehr brauchte, sich einen Platz in meinem Herzen erkämpfte. Ich merkte, dass da ein kleiner Fleck immer wärmer wurde. Aber dennoch: für ein einfaches „Ich liebe dich!“ reichte es nicht.

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Ich denke, dass ich diesen Fakt irgendwann akzeptiert habe. Dass ich die negativen Gedanken bei Seite schob und mir immer wieder sagte, dass es beim zweiten Kind vielleicht einfach nicht mehr so überwältigend ist. Ich meine, was habe ich erwartet? Dass es wieder genauso magisch wird, wie nach der ersten Geburt? Dass ich völlig außer mir sein würde vor Freude? Ich fühlte mich schlecht und scheiße und allein mit meinen Gedanken und deshalb schob ich sie so weit wie möglich von mir.
Dieses Baby gehörte nun zu uns. Ich war stolz und glücklich und seine Mama. Aber eben ohne eine tiefe Mutterliebe. Ich begann, das zu akzeptieren und lebte den Alltag so gut es ging.
Klar, da waren diese typischen Momente, in denen man dem Partner sagt „Ohhh schau mal, wie süß er aussieht! Schau doch nur, wie süß er lacht!“ Aber die drei Worte, die ich zu Samuel in seinen ersten Minuten auf dieser Welt sagte, wollten mir nie über die Lippen kommen. Und auch wenn ich damit versuchte zu leben, zerfraß es mich innerlich. Stück. Für. Stück.

Tage und Wochen vergingen. Irgendwann waren es Monate und meine Familie ein eingespieltes Team. Morgens brachte ich Samuel in den Kindergarten, Niklas ging zur Arbeit und ich schmiss den Haushalt und managte unsere Termine. Im Grunde glich jeder Tag dem anderen, zumindest, was die Rahmenbedingungen betraf. Mio lief oft nebenher, jedenfalls dann, wenn Samuel zu Hause war. Dann versuchte ich, meine Aufmerksamkeit auf mein großes Kind zu lenken, ihm zu signalisieren, dass sich nicht alles verändert hatte, dass sich meine Liebe nicht verändert hatte. … Bis zu einem Tag im Januar. Ich glaube, es war der 10. des Monats. Eigentlich war alles ganz genau wie sonst auch. Samuel war in der Kita, Niklas arbeiten und ich lag mit Mio im Bett, um ihn in den Schlaf zu begleiten.

Ich weiß nicht, warum, aber plötzlich füllten sich meine Augen mit Tränen. Ich schaute in das kleine, unschuldige, perfekte Gesicht von Mio, schaute ihn einfach nur an. Und dann kamen sie über meine Lippen: „Ich liebe dich, Mio! Ich liebe dich so sehr!“ Und dann liefen die Tränen. All die Tränen, die ich vorher nicht geweint habe. All die Tränen, die ich Monate lang herunter geschluckt hatte. Ich weinte so bitterlich und drückte Mio an mich und streichelte seinen kleinen Kopf und sagte ihm immer wieder, wie sehr ich ihn liebe.

Dieser Moment hat alles verändert. Und von da an ging alles bergauf.

Und als die Liebe dann da war…

Für Samuel war die Zeit der Umstellung nicht leicht. Er war noch so klein, als sein Bruder geboren wurde und sehr oft so frustriert, weil er nicht an erster Stelle stand. Ach Samuel, ich gehe mit deiner zwei Jahre alten Hand die Straße entlang und genieße unsere innige Beziehung. Ich beobachte dich. Ich beobachte den Schmerz, den du empfindest, wenn du mich teilen musst. Beobachte den Frust, der sich in dir anstaut. Ich höre, dass du mir auf deine eigene Weise sagst: „Mama, Mio soll weggehen. Ich will dich für mich allein haben!“ Und ich höre, dass ich dir sage: „Das geht nicht“. Dass das niemals gehen wird. Du weinst. Ich weine mit dir. So viel Schmerz und Wut bahnt sich in Form von dicken Krokodilstränen den Weg an unseren kleinen Stupsnasen vorbei. Und in diesem Moment tut es mir unendlich leid, dass du so leidest. Ich sehe unser neues Baby oftmals fast als eine Art Eindringling in die wertvolle Beziehung, die wir einst teilten. Eine Beziehung, die wir nie wieder haben können.
Aber dann bemerke ich, dass ich an dieses neue Wesen gebunden bin, dass auch uns etwas verbindet, Mio und mich, und ich fühle mich schuldig. Ich möchte nicht, dass du siehst, wie ich die Zeit mit Mio genieße. Es kommt mir fast so vor, als würde ich dich betrügen. Aber tief im Innern weiß ich, dass alles gut wird. Dass es gut so ist, wie es ist, denn ihr werdet euch immer haben.
Und so wie sich meine Gefühle verändern, so verändern sich auch deine. Lange bist du sauer und wütend. Erst nach und nach wächst die Neugierde und in der Kita mimst du den Beschützer („Nein, das ist MEIN (!) Bruder!“) und schließlich ist da wieder so etwas wie Zuneigung und ihr spielt zusammen und kuschelt und lacht.

Ja, ich denke, dass auch das wiederum meine Gefühle beeinflusst. Ich lasse nun alles zu und halte nichts mehr zurück, weil ich keine Angst mehr habe, dich zu verletzen. Ich liebe jetzt so sehr wie ich kann. Und darf. Und will.

Die Erinnerung an die Tage mit uns beiden verblasst langsam, aber etwas anderes ersetzt diese wundervollen Zeit nun.Wir sind jetzt zu dritt, ein Dreiergespann. Ich beobachte, wie die Liebe zwischen dir und Mio wächst, wie sie zu etwas Wunderbarem heranreift. Ich beobachte, wie dein kleiner Bruder dich anhimmelt, wie er zu dir aufschaut und dich nachahmt. Und ich beginne zu erkennen, dass ich dir nichts genommen habe. Nein, es ist etwas viel Schöneres passiert: Ich habe dir etwas gegeben.

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Ich merke, dass ich keine Angst mehr habe, meine Liebe offen mit euch beiden zu teilen. Ich finde, dass meine Liebe für jeden von euch so verschieden ist, wie die verschiedenen Arten von Blumen in Wald und Wiese. Ich liebe Samuel, weil ich mit ihm alles zum ersten Mal erlebe. Den ersten Zahn, das erste Wort, das erste Mal in den Kindergarten gehen. Ich liebe es, wie ich zum ersten Mal einen Ausflug mit MEINEM zweiten Kind mache, wie wir zum ersten Mal Straßenbahn fahren und wie wir zum ersten Mal einen Geburtstag feiern. Und ich liebe Mio, weil ich beim zweiten Mal ganz genau weiß, was auf mich zukommt und ich die Dinge viel intensiver, viel bewusster wahrnehmen kann. Weil auch die zweiten Male einen ganz besonderen Zauber besitzen.

Und ja, meine Frage wird – zu meinem eigenen Erstaunen – endlich beantwortet. Ja, ich kann ein anderes Kind genauso lieben, wie ich dich liebe – nur anders. Und obwohl ich merke, dass du vielleicht meine Zeit teilen musst, weiß ich jetzt, dass du meine Liebe niemals teilen wirst. Davon gibt es genug für euch beide – jeder von euch hat seinen eigenen Platz in meinem Herzen, unangefochten und für sich allein. Ich liebe euch beide. Und ich danke euch beiden, dass ihr mein Leben gesegnet habt.

Alles Liebe, eure Mama

Jasmin