Wenn wir mit sonnigem Himmel rechnen und es stattdessen regnet, beschuldigen wir vielleicht den Wetterbericht, aber die Natur nicht. Wir glauben nicht, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Wir akzeptieren, dass unsere Erwartungen manchmal falsch sind. Dass die Wettervorhersage falsch war. Wir sind flexibel und ändern unsere Pläne. Wir ziehen uns einen Regenmantel an oder bleiben zu Hause. Warum kann unsere Gesellschalft also die unrealistischen Erwartungen, die an unsere Kinder gestellt wurden, nicht ebenso auflösen?
So viel Frustration und Versagensgefühle entstehen dadurch, dass wir glauben, dass unsere Babys und Kinder zu mehr fähig sind, als sie tatsächlich sind. Dass sie mehr können MÜSSEN. Dabei sind Babys schlicht nicht dafür ausgelegt, die Nacht durchzuschlafen. Kleinkinder sind nicht dazu da, um ständig alles zu teilen. Kinder sollen nicht stundenlang still sitzen. Un auch Mütter und Väter sind nicht so konzipiert, dass sie perfekt sind. Es ist sinnlose Zeitverschwendung, wenn wir versuchen, unsere Kinder in Kisten, Perzentilen und straffe Zeitpläne einzugliedern. Das Glück geht verloren, wenn wir einer künstlichen Fantasie nachjagen, weil die Kluft zwischen Realität und Erwartungen Depressionen, Zweifel und Angst hervorruft. Wir können die Realität nicht biegen, aber wir können die Diskrepanz verringern, indem wir unsere Erwartungen zurückschrauben.⠀
Das Kind da abholen wo es steht
Hol dein Kind da ab, wo es ist. Geh mit ihm in Beziehung. Versuche es zu verstehen, wenn es weint. Wenn es nicht ins Bett möchte. Wenn es sich im Supermarkt auf den Boden wirft. Oder wenn es einfach so seinen Unmut äußert.
Es gibt immer einen Grund. Versuche ihn herauszufinden. Hör auf das leise Flüstern in dir, das genau weiß, was deinem Kind gut tut. Vergiss blöde vorgefertigte Tabellen und Entwicklungsstadien und vertraue darauf, dass alles in Ordnung ist – ja, das erfordert Mut. Das schafft Resilienz. Wenn wir es aberschaffen, vorgefasste Ideale abzulegen und zu akzeptieren, dass unsere Kinder nicht so sind, wie in einem Buch beschrieben, wir vieles leichter werden. Wir werden wieder offener.
Alte Muster hinter uns lassen
Wenn wir auf die Bedürfnisse unserer Kinder stets bestmöglich eingehen und unsere eigenen dabei nicht vergessen, dann werden wir sehen, wie sich die Beziehung nach und nach festigt. Und vielleicht, wenn wir in dieser Hinsicht unsere Kinder für das Wahrnehmen, was sie SIND und nicht für das was sie TUN, heilen wir uns dadurch auch von Generationenmustern, die uns dabei nicht dienlich sind.
Spür meine Liebe
Alle Eltern lieben ihre Kinder – das stellt niemand in Frage. Aber was wichtiger ist als wie sehr WIR unsere Kinder lieben, ist, wie sehr SIE unsere Liebe fühlen. Wie sehr sie das Gefühl haben, dass wir sie lieben, wenn sie sich „schlecht benehmen“ (ich verwende diesen Ausdruck hier, weil sich dieser in der Gesellschaft etabliert hat für ein Verhalten, das laut einem Großteil der Gesellschaft, in gewissen Situationen nicht angemessen ist). Unsere Kinder müssen wissen, dass wir sie lieben, unabhängig von ihrem Verhalten. Sie müssen wissen, dass unsere Liebe bedingungslos ist, dass wir ihnen unsere Liebe niemals wegnehmen werden. Das klingt offensichtlich, nicht wahr? Aber hier ist das Ding. Moderne Praktiken wie Auszeit im Zimmer / stille Ecke, künstliche Konsequenzen, Bedrohungen und Belohnungen nutzen genau diesen Liebesentzug als Mittel. Sie lehren unsere Kindern, dass wir unsere Liebe wegnehmen können, wann immer wir es in einer Situation für richtig halten. Diese Mittel lehren unsere Kindern auch, dass wir sie mehr lieben, wenn sie „sich gut benehmen“, und weniger, wenn sie „dich schlecht benehmen“.
Diese Dinge führen dazu, dass unsere Kinder ein neues Ich finden möchten, das geliebt wird. Sie verändern unsere Kinder. Denn ein Kind möchte seinen Eltern natürlich immer gefallen. Ein Kind, dem wir mit solchem Liebesentzug drohen, wird also weniger sein, wer es ist, sondern mehr versuchen so zu sein, wie es denkt, dass wir es haben möchten. Diese Kinder verlieren sich selbst und verbringen dann mit größerer Wahrscheinlichkeit ihr Erwachsenenalter damit, sich selbst zu finden und nach einem gesunden Gefühl von Selbstwertgefühl, Selbstliebe und Sinn zu suchen.
Kein Liebesentzug
Was ist also die Konsequenz daraus? Für mich heißt das, dass ich meine Kinder stets mit bedingungsloser Liebe überschütte. Ich sage ihnen, auch wenn sie meine Grenze überschritten habe, dass ich sie immer liebe. Ich liebe sie noch mehr, wenn sie am schlimmsten sind, wenn sie mich wahnsinnig machen. Es ist so wichtig, niemals Zuneigung oder deren Entzug als Druckmittel zu verwenden. Ich weiß, es fällt manchmal schwer, nicht durchzudrehen. Vor allem, wenn wir selbst am Limit sind. Aber glaub mir, es wird deinen Kindern nichts nützen, wenn du sie in einer verzweifelten Situation auch noch bestrafst. Umarme sie. Setz dich zu ihnen. Beug dich rüber. Sei interessiert und frage dein Kind, was es hat und was es sich wünscht. Frage dich, welche starke Emotion dein Kind dazu veranlasst, sich so zu verhalten.
Sei gnädig mit dir
Eine gewaltfreie Erzeihung ohne Druckmittel ist ein Kraftakt und ein großer Schritt. Sei also nicht zu hart zu dir, wenn du es mal nicht schaffst und in alte Muster zurückfällt. Ich mache auch Fehler. Werde laut oder sage Dinge, die ich eigentlich nicht mehr sagen möchte. Denk daran, dass wir alle Fehler machen. Elternschaft ist nunmal kein Ponyhof, sondern der härteste Job, besonders wenn wir durch Kindheit und Kultur selbst konditioniert wurden. Aber lass dich davon nicht beeinflussen. Wir sind in einer privilegierten Position, die ersten Menschen zu sein, die unsere Kinder bedingungslos annehmen und lieben. Lasst uns Kinder großziehen, die sich nicht von ihrer Kindheit erholen müssen.