Vom Mama Sein.

Mama zu sein ist wunderschön, keine Frage. Aber Mama sein ist auch anstrengend. Oft so anstrengend, dass ich am liebsten einmal einen Tag wieder nur Jasmin wäre. Quirlig, fröhlich und völlig unbeschwert. So, wie ich eben früher war, bevor ich Mama wurde. Ich bin dankbar, dass ich ein gesundes Kind habe und möchte hier nicht nur meckern, vielen Frauen da draußen bleibt dieses Glück verwährt, obwohl sie sich so sehr nach einem Kind sehnen. Für sie muss es so aussehen, als wäre ich undankbar und unglücklich. Das bin ich nicht. Nein, ganz und gar nicht. Ich erfreue mich an meinem kleinen Wirbelwind und er zaubert mir täglich mindestens dreihundertfünfundneunzigmal ein Lächeln ins Gesicht. Manchmal halte ich mir den Bauch vor Lachen, weil er so lustig ist und die gemeinsame Zeit Spaß macht. Aber manchmal, ja zur Zeit leider etwas öfter als nur manchmal, da fühle ich mich ausgelaugt. Und ich finde, ich darf das sagen, denn meistens mache ich meinen Mama-Job gut – und vor allem voller Hingabe. Da werde ich doch auch mal sagen dürfen, dass wir nicht nur in einer rosaroten Blase durch unser Zuckerwattenleben schweben, sondern dass es auch mal schwierig ist.
Wisst ihr, ich habe alles gegeben die letzten Jahre. Auch bevor ich mein kleines Augustwunder in den Armen hielt, gab ich alles dafür, uns eine gute Zukunft zu bereiten. Erst habe ich gelernt, gelernt, gelernt – mit dickem Babybauch auch im 10. Monat noch – und später mein Baby im Tragetuch mit in die Uni genommen – und wieder gelernt. Ich habe immer 110% gegeben, um mich (und auch die anderen) nicht zu enttäuschen. Aber jetzt?

Energiebündel? Das war einmal.

Ich bin müde. Ich bin abgeschlagen. Meine Augen brennen und trotzdem weiß ich, ich muss es irgendwie durch den Tag schaffen. Die letzten Monate, nein, eigentlich die letzten zwei Jahre haben alles von mir abverlangt. Vielleicht auch zu viel!
Meine erste Schwangerschaft war nicht schrecklich – aber auch nicht rosig schön. Der Uniabschluss forderte mich bis in die letzten Wochen der Schwangerschaft und die ersten der Wochenbettzeit. Das direkt daran anschließende Masterstudium, Samuel war bei Beginn gerade acht Wochen alt, raubt mir alle übrig gebliebene Energie. Die zweite Schwangerschaft und ein quirliges Kleinkind machen die Situation jetzt nicht leichter.
An manchen Tagen stehe ich um sechs Uhr auf. Ich spiele mit Samuel, manchmal darf er morgens baden, weil er das so gerne tut. Dann frühstücken wir und mein Blick wandert nervös zur Uhr. Eigentlich bin ich spät dran, aber der Moment ist doch gerade so schön. Ich hadere mit mir, flitze unter die Dusche, mache mich in Windeseile fertig. Samuel anziehen, ab zur Uni. Danach koche ich Mittag für uns zwei, manchmal isst auch Niklas gemeinsam mit uns, wenn er gerade zu Hause ist. Am Nachmittag spielen wir , gehen raus, ständig überlege ich mir, wie ich unseren Sohn wohl richtig beschäftigen kann. Viel frische Luft ist dabei häufig meine Devise, denn die macht müde. Ich hoffe auf einen ruhigen Abend. Aber der kommt nicht. Niklas ist arbeiten und Samuel vermisst seinen Papa. Vor 22 Uhr schläft er nicht. Ich bin völlig erschöpft, aber muss noch mein Seminar vorbereiten und an der Präsentation für die Gruppenarbeit wollte ich auch noch basteln. Ich bin müde. Ich bin abgeschlagen. Meine Augen brennen und trotzdem weiß ich, ich muss irgendwie mit nur ein paar Stunden Schlaf zurecht kommen.

Eigentlich, wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, tief in mich hineinhorche, dann fühle ich mich schon lange nicht mehr wohl so wie es ist. Eigentlich bin ich nur eine leere Hülle. Eine besonders müde leere Hülle, die sich nach Herzensmomenten und einem langen Winterschlaf sehnt. Schlafen, bis der Frühling kommt. Aber nein, ich mache weiter – und drehe mich letztlich doch nur im Kreis. Ich hetze von einem Termin zum nächsten, erledige meine Arbeit bis spät in die Nacht und bin gestresst. Und wisst ihr, mir ist klar geworden, ich will das nicht mehr. So wollte ich das nie und so habe ich mir meine Zeit als Mama nicht vorgestellt. Nein, ganz bestimmt nicht.
Es hat gefühlt nur einen Wimpernschlag gedauert, von meinem ersten positiven Schwangerschaftstest bis nun ein Kleinkind vor mir steht und seine ersten Worte spricht. Ein Wimpernschlag. Ein einziger. Und ich war nicht da. Ich war es, aber nicht mit dem Herzen. Nicht immer, nicht oft genug jedenfalls. Mir ist eins ganz schmerzlich bewusst: diese Zeit werde ich nie zurück bekommen, mein Baby wird nie wieder so klein sein. Ganz schmerzlich wird mir nun bewusst, dass ich zwar beruflich voran gekommen bin, das Bachelorstudium beendet und den Master mittlerweile fast abgeschlossen habe, aber habe ich denn auch gelebt? Geliebt? Genug getröstet? Genügend Aufmerksamkeit geschenkt?

Ja, ich habe immer mein Bestes gegeben – den Umständen entsprechend. Ich wollte meine Ansprüche an mich selbst nicht herunter schrauben und zugleich meine Familie nicht enttäuschen. Ich wollte allen zeigen, ich kann das. Ich will das. Ich bin eine Powerfrau. Stattdessen wäre es mir heute lieber, ich hätte einen Gang zurück geschaltet und mich aufs Wesentliche konzentriert: (ausschließlich) mein Kind. Oh, ich habe viel Zeit mit meinem Sohn verbracht, täglich mehrere intensive Stunden. Nur wisst ihr, oft war ich mit dem Kopf schon bei der Hausarbeit, die am späten Abend noch weiter getippt werden wollte, oder dem Referat, das ich noch vorbereiten musste. Das fing schon in der Schwangerschaft an, als ich mir keine Pause gönnte, in der 36. Schwangerschaftswoche eine Abschlussprüfung schrieb – und mir heftigen vorzeitigen Wehen belohnt wurde. An diese, meine erste, Schwangerschaft kann ich mich nicht als besonders schöne Zeit erinnern, denn eigentlich habe ich das alles gar nicht so recht wahrgenommen, was da mit meinem Körper passierte. Und auch die Babyzeit zog viel zu schnell vorbei an mir. Und viel zu oft saß ich leider in dieser Zeit in stickigen Hörsälen und doofen Klausuren.

Und? Habe ich daraus gelernt?

Ich weiß es nicht. Noch immer möchte ich unbedingt endlich mein Studium beenden – mir fehlen nur noch zwei Semester und mit der von mir gewohnten Power kann ich es bis März 2018 schaffen. Aber gleichzeitig will ich endlich einmal nur Mama sein. Ausschließlich und vollkommen. Ich möchte meine restliche Schwangerschaft genießen, ohne zur Arbeit oder in die Uni zu hetzen. Ich möchte Samuel noch einmal meine gesamte Aufmerksamkeit schenken, ohne von den Uniaufgaben abgelenkt oder ausgelaugt zu sein. Ich möchte der Ankunft meines Babys entgegenfiebern, ohne im Hinterkopf zu haben, dass es doch bitte zwei Wochen später kommen soll, weil ich das Semester noch beenden möchte. Ich möchte das Wochenbett genießen, ohne zu wissen, dass danach der Hörsaal auf mich wartet, laut und stickig. … Ich möchte so vieles, wenn ich ehrlich bin. Und eigentlich, weiß ich zwischen all dem Wollen genau, was mich glücklich macht und mir gut tut. Nur ist das eben nicht das, was andere von mir erwarten. Oder das was ich glaube, was sie von mir erwarten.
Eigentlich möchte ich raus, weit weit weg in ein fremdes Land und weg vom Alltagsstress. Oder hier bleiben, in unserer kleinen, leisen Stadtwohnung, nur wir drei (oder vier, wenn man Baby im Bauch mitzählt) und der Stille lauschen. Ich möchte Zeit haben, meinem Kind beim Wachsen zu helfen, ihm Raum lassen, die Welt zu entdecken – ohne den ganzen Stress auf ihn zu übertragen.

Inne halten.

Viel zu oft gehe ich durch den Stress unachtsam durch den Alltag, nehme gar nicht wahr, wie schön die Welt um mich herum ist. Dabei ist es genau das, was mein Kind jetzt benötigt: Achtsamkeit. Zuwendung. Zeit. Deshalb habe ich mir vorgenommen, wieder mehr in mich hinein zu spüren, die kleinen Momente zu leben, ganz leise und bedacht den Moment zu genießen. Mir ist es wichtig, nicht stetig konstant zu bleiben; eine Konstante in Samuels Leben sein, ja, aber ich möchte an den Aufgaben wachsen, mein Tun reflektieren, hinterfragen und gegebenenfalls umdenken.
Ich möchte uns also den rauen Wind aus den Segeln nehmen und ihn in eine leichte Brise verwandeln, die uns fortwährend trägt, uns weiter bringt, aber manchmal so schwach ist, dass wir nur im Moment leben können. Und dass wir inne halten können, ganz leise unseren Herzen folgen. Samuel entdeckt jeden Tag so wundervolle Dinge, lebt im Hier und Jetzt, denkt gar nicht daran, was morgen oder vielleicht auch nur zehn Minuten später passieren könnte. Unsere Kinder tun genau das, was wir auch viel öfter tun sollten: inne halten. Nur wir selbst sein. Achtsam die Umwelt wahrnehmen.
Also stehe ich mitten auf der Schildergasse, der meist frequentierten Einkaufsstraße Deutschlands, um uns herum Trubel, Menschenmassen die im Shoppingrausch sind – und mitten drin wir. Samuel läuft an den Schaufenstern entlang, jagt eine Taube und sein Lachen ist dabei so ansteckend, dass sich mehrere Menschen umdrehen und in sein Lachen einsteigen. Den Moment leben. Ich speichere den Geruch, die Bilder in meinen Gedanken und will ihn mir bewahren. Zu Hause räumt Samuel den Vorratsschrank aus. Erst den Reis, dann die Nudeln, dann unsere Teesammlung. Er hat Spaß dabei, grinst immer wieder frech zu mir rüber, als wolle er sagen Guck Mama, was ich tue. Komm doch und verbiete es mir wieder. Aber diesmal lasse ich ihn, beobachte sein Stirnrunzeln und seinen lächelnden Mund, in dem die kleinen weißen Zähnchen hervorblitzen. Diesmal bin ich keine Helikoptermama. Den Moment leben. Wieder speichere ich ihn ab, will später Niklas von unserem Glücksmoment berichten.

Den Alltag entschleunigen. Slow Parenting.

Ja, ich gehe nun wieder bewusster durch unseren Alltag, entschleunige ihn. Lasse Termine auch mal sausen oder mache sie erst gar nicht. Dafür genieße ich  viele kleine Momente mit meiner Familie. Lasse Samuel die Welt entdecken und sich spüren. Komme lieber auch mal zu spät, weil Samuel sich nicht sofort anziehen wollte, sondern lieber ohne Windel noch schnell nackt drei Mal den Flur rauf und runter rennen wollte. Warum auch immer alles sofort tun, wenn fünf Minuten mehr uns statt einem Weinen ein breites Lächeln und einen Glücksmoment bescheren? Warum nicht das Kind einfach mal tun lassen, ihm Vertrauen schenken und Zeit vertrödeln? Warum nicht all die Hektik bei Seite lassen und ein bisschen langsamer leben? Warum nicht einfach die Uni Uni sein lassen, wenigstens für ein oder zwei Semester und einmal nur genießen Mama zu sein? Ich habe mich noch nicht endgültig durch gerungen nicht zur Uni zu gehen bis das neue Baby sagen wir einmal ein Jahr alt ist, aber ich denke mittlerweile anders darüber als noch vor ein paar Wochen, als mich die Hektik voll im Griff hatte. Wir werden sehen, zu was ich mich letztendlich entscheide.
Seit wir Situationen wieder bewusst gemeinsam erleben, bin auch ich wieder glücklicher, weil ich sehe, wie sehr es mein Kind glücklich macht. Wir lachen gemeinsam, weinen weniger. Ich bin weniger überfordert, weil Samuel ausgeglichener ist. Und er? Er lebt den Moment, so wie er es immer getan hat – nur habe ich das nie gesehen. Jetzt leben wir ihn beide und das möchte ich nicht mehr missen.

Alles Liebe,
eure Jasmin