Da ist ein Bachgefühl, dass etwas nicht stimmt. Ich schiebe es bei Seite, denke mir, dass mein Kind eben eins ist, das mehr Aufmerksamkeit braucht, mehr Zuwendung. Eins, das „anstrengender“ ist.
Dann sind da die Stimmen von außen, die sagen, dass das „nicht normal“ ist. Dass wir das „unbedingt abklären lassen“ müssen. Und wieder kommt dieses Bauchgefühl.
Anrufe. Arztbesuche. Diagnostiktermine. Ungewissheit. Wartezeit. Hoffnung und Angst mischen sich, denn es steht etwas unausgesprochen im Raum, das mir erst mal die Luft abschnürt.
„Frau Nimmerland, Ihr Sohn ist seelisch behindert.“ Bam. Wie ein Schlag in die Magengrube. Was soll das überhaupt heißen?
Termine, Ärzte, Pädagogen, Therapeuten, ein Psychologe – und keiner kann wirklich greifen, was unser Sohn hat. Alle wissen, dass etwas nicht stimmt, aber keiner kann wirklich fassen, was unseren kleinen Mann so beschäftigt. Was ihn so wütend macht. Weshalb er im Alltag oft völlig überfordert ist.
Über ein halbes Jahr ist das nun her, die Reise ist noch nicht zu Ende. Verdacht auf Autismus. Ich schlucke. Ich will weinen und gleichzeitig bin ich irgendwie „froh“, denn auch wenn es eine Behinderung ist, die er sein Leben lang haben wird, ist die Diagnose auch eine große Chance, unserem Löwen endlich zu helfen. Eine Chance, ihm durch Therapie den Alltag wieder lebbarer zu machen.
Was nun kommt, wird anstrengend sein. Für uns, aber vor allem für Samuel.Ich hoffe, dass ich hier den Austausch finde, den ich mir wünsche und dass ich dich mitnehmen kann auf unsere Reise.
Alles Liebe,
Jasmin
Liebe Jasmin,
ich kann gut nachvollziehen, wie es dir da ging. Ich hatte das gleiche letztes Jahr auch durch, dabei war ich eigentlich sogar schon darauf vorbereitet gewesen.
Denn: mein Mann ist Autist und da ist es recht wahrscheinlich, dass eines unserer beiden Kinder das auch erbt.
Der Große zeigte Ansätze, aber nicht mehr.
Und dann kam meine Motte. Ein super liebes und den Menschen zugeneigtes Mädchen, das wahnsinnig viel lacht und gerne kuschelt. Bei ihr war ich mir sicher, dass sie ganz sicher kein Autist werden würde. Sie schrie selten und viel Trubel machte ihr gar nichts aus. Aber als sie dann anderthalb war, fiel mir auf, dass sie eben doch etwas anders war. Redete noch nicht, lief nicht und es zeigte sich, dass sie scheinbar völlig willkürlich Dinge verstand oder eben nicht. Nachgemacht hat sie gar nichts. Winken? Nein. Wir hatten sogar schon die Befürchtung, dass sie vielleicht taub ist, weil sie oft auf Zuruf nicht reagiert hat.
Im SPZ hatte der Oberarzt eine vorgefertigte Meinung: „Die guckt in die Augen, die kann kein Autist sein.“
Mein Mann, der sich inzwischen extrem in die neuesten Studien aus den USA eingelesen hat und wusste, dass gerade Mädchen da sehr oft unter den Radar geraten, hat bei ihr aber schon viele Anzeichen entdeckt. Dinge, die halt ein bisschen komisch waren und die sich aber durch unsere erweiterten Kenntnisse über ASS erklären ließen. (Stimming, schlechter Gleichgewichtssinn, Untersensiblität….)
Inzwischen ist sie zweieinhalb, immer noch ganz anders als Gleichaltrige, obwohl sie läuft und auch das Reden (teilweise nicht so leicht verständlich, weswegen wir ihr auch Gebärden beibringen) begonnen hat. Und wir sind sicherer denn je, dass sie autistisch ist und wollen sie zur Diagnostik anmelden.
Nun zu deinem Beitrag: Für mich ist eine Welt zusammengestürzt. Ich habe mich sehr darauf gefreut, mit meinem Töchterchen bald die Mädchenseite des Kindseins wiederzuentdecken, hab mich auf die Gespräche mit ihr gefreut. Und dann sagte mein Mann, dass es sogar sein kann, dass sie nie redet. Und er sagte, dass sie sich jetzt auch bald zu verändern beginnen könnte, weil sich Autismus oft erst im Alter zwischen 18 und 24 Monaten zu zeigen beginnt.
Wie? Mein kleiner Sonnenschein, plötzlich ganz anders? Ich hatte richtig Angst und mir ging es sehr schlecht damit. Es hat auch einige Zeit gedauert, bis ich es akzeptiert habe.
Inzwischen zeigt sich, dass mein hochsensibler Sohn und auch ich, hochsensibel, auch gar nicht so weit vom ASS-Sprektum angesiedelt sind.
Auch dir/jedem als Tipp: ASS ist vererbbar. Viele Autisten, vor allem ältere, wissen gar nicht, dass sie es sind.
Viele Grüße
Hallo! Ich habe ein bisschen gelesen. Ich habe zwei Geschwister. Mein Bruder ist 36, Autost und hat eine geistige Behinderung. Meine Schwester ist 32, hat autistische Züge und eine Lernbehinderung bzw mittlerweile eine „leichte“ geistige Behinderung und eine Essstörung. Ich weiß noch, dass meine Mutter erzählt hat, wie es ihr danals ging, als erste vage Vermutungen zu meinem Bruder gestellt wurden. Wie wütend sie war. Wie ungerecht sie es empfunden hat. Und gleichzeitig hat sie es geahnt. Mein Vater war nur hilflos und fühlte sich „über“. Inzwischen wohnt mein Bruder in Camphill, einer antroposophischen Einrichtung. Es ist dort wunderschön, ruhig, wie Bullerbü und für ihn genau das richtige.
Ich selber habe inzwischen zwei großartige Rabauken, die gerne bei ihrem Onkel sind. Meine Schwester ist hingegen sehr anstrengend, was allerdings ihren Charaktereigenschaften“geschuldet“ ist.
Der Weg ist nicht immer einfach, aber machbar! Toll, dass du so viel Liebe und Stolz zeigst!!
Ich kann hier „nur“ als Schwester schreiben. Ich weiß nicht, wie das Gefühl für Eltern ist.
Ganz liebe Grüße!!
Christine