automatisch-gespeicherter-entwurfWer von uns ist behindert?

Ich mag das Wort Behinderung nicht so wirklich. Behinderung – das ist negativ behaftet und leider viel zu oft mit Ausgrenzung und Problemfall gleichzustellen. Be_hindert wird man eigentlich nur von außen. Durch die Norm, die von dem abweicht, was ich bin. Was mein Kind ist. Was du bist.

Wir alle drei sind irgendwie behindert. Haben ein Defizit, das wir nicht ändern können und das uns irgendwo im Leben vor ein Hindernis bringt – in unterschiedlicher Ausprägung. Ich kann zum Beispiel nur schwer meine Gefühle abgrenzen und sie benennen. Wenn ich vor einem Konflikt stehe, schiebe ich ihn lieber weit vor mir her. 🤷‍♀️ Ich will mit dieser Aussage nicht eine körperliche oder seelische Behinderung bagatellisieren, die Barrieren sind da, keine Frage. Diese Tatsache, dass jeder irgendwie behindert ist (wird), verbindet alle Menschen auf eine gewisse Weise. Und trotzdem hat nur ein Mensch ein wirkliche Behinderung. Meine Defizite werden aber von der Gesellschaft meist einfach hingenommen und ich erfahre dadurch keine Ausgrenzung, mein Sohn erfährt mit seinen Defiziten dagegen immer häufiger Ablehnung.

Deshalb: ja, mein Sohn hat eine seelische Behinderung. Aber nicht sein Anderssein behindert ihn, sondern die Menschen, die diesem Anderssein keine Toleranz entgegen bringen. (Was nicht heißt, dass er z. B. nicht lernen muss, seine Aggressivität zu zügeln – ich hoffe, ihr versteht meinen Gedanken).

ABER: Ich habe das Gefühl, dass viele dieses Idealbild von einer toleranten Gesellschaft im Kopf haben. Wir schließen keine Flüchtlinge, keine ethnischen Minderheiten, keine Homosexuellen, keine Behinderten aus – das segnet vermutlich jeder von euch mit einem Kopfnicken ab.

Aber (!) wenn wir diesen Menschen dann live begegnen, wenn vielleicht unser Kind mit ihnen gemeinsam in den Kindergarten geht, äußern wir beim Elternabend doch unsere Bedenken. Warum klappt die Umsetzung des theoretischen Konstrukts Inklusion nicht? Warum sieht die Praxis so anders aus, wenn wir uns doch alle nur eins wünschen: mehr Toleranz und Liebe für jeden Menschen?

Wir können Behinderung durch Inklusion nicht beseitigen. Aber wir können Behinderten eine gleichwertige Stimme geben, sie mitentscheiden lassen.

Jeder von uns Menschen vor dem Bildschirm kann Inklusion und gegenseitige Toleranz leben. Wirklich leben. Ohne andere zu behindern, zu verurteilen und auszugrenzen. Wir können dem Rollstuhlfahrer in den Bus helfen, der Oma im Supermarkt etwas aus dem Regal reichen, Flüchtlingen die Hand geben und eine Mutter lieb anlächeln oder Hilfe anbieten, wenn ihr Kind ausflippt. Und ich denke, wenn das jeder tut, wenn wir uns wirklich bemühen und nicht nur in unserer Vorstellung Toleranz wollen, dann fällt auch gar nicht mehr auf, wenn jemand ein tatsächliches Handycap hat. Du kannst ein Inkluencer sein.

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