Bislang dachte ich, dass ein Kind im Studium zu bekommen zwar ungewöhnlich aber nicht unmöglich ist. Scheinbar ist jedoch aus universitärer Sicht ein Kind im Studium kaum noch gewünscht. Das wirkte für mich nicht immer so. Ich bekam mein erstes Kind, unseren kleinen Samuel, bereits im Bachelor, den ich mit Baby im Bauch und kurz darauf im Tragetuch erfolgreich absolvierte. Sogar mein Latinum konnte ich trotz  Neugeborenem nachholen, zwar hat mich das viel Schweiß und Nerven gekostet aber es hat irgendwie geklappt. Die schriftliche Prüfung schrieb ich im Sommer 2015 schwitzend und hoch schwanger im zehnten Monat bei 38 Grad und zur mündlichen Prüfung trat ich dann mit meinem bereits geborenen Kind in der Bezirksregierung Köln an – Samuel schlief im Tragetuch bei mir vor dem Bauch und ich absolvierte trotz Hormonchaos erfolgreich die Prüfung. Ich habe es bislang irgendwie immer geschafft, beides, Kind und Studium, zu vereinbaren.
Nein, nicht irgendwie, sondern eigentlich sogar recht gut. Die letzten Monate waren anstrengend, hart und oft wollte ich am liebsten alles aufgrund von hohem Schlafmangel hinschmeißen – aber ich habe tapfer durchgehalten, konnte mein Baby einfach mit zur Uni bringen und daher trotzdem meine Seminare und Vorlesungen besuchen. Und auch jetzt wo Samuel größer ist, nehme ich ihn regelmäßig mit. Und das seit nun vier Semestern. Meine Noten blieben dank Fleiß trotzdem sehr gut, mein (Zwischen) Abschluss kann sich sehen lassen und ich bin zufrieden. Naja, ich war es.

Die Problematik.

Aktuell studiere ich den Master of Education im dritten Fachsemester. Mein Lehramtsstudium möchte ich möglichst bald abschließen, dazu fehlt mir nur noch meine Masterarbeit und das Praxissemester mit zwei Nachbereitungsseminaren, das mit der Umstellung auf das Bachelor-Master-System eingeführt und im Februar 2015 das erste Mal von Student*innen absolviert wurde. Laut Studienordnung soll die Praxisphase von fünf Monaten im zweiten Mastersemester stattfinden, ich aber habe es nach hinten verschoben, da Samuel zu diesem Zeitpunkt gerade einmal sechs Monate alt war. Ich habe also den Stundenplan komplett umgeschmissen, andere Kurse vorgezogen und abgeschlossen – studierte quasi alles in umgekehrter Reihenfolge. Aber nun stehe ich vor einem Problem. Ich bin wieder schwanger und genau dies scheint mit dem Masterstudium, insbesondere dem Praxissemester, nicht vereinbar zu sein.

Schwanger im Praxissemester?

Das Bildungsministerium NRW hat bei der Einführung des Bachelor-Master-Systems und des damit einhergehenden Praxissemesters  meiner Meinung nach nämlich keine Rücksicht auf werdende Mütter und Studimamas genommen.
Deshalb befinde ich mich nun – schwanger und bereits Mama eines Einjährigen – in einer für mich nahezu ausweglosen Situation und sehe meinen Studienabschluss in weite Ferne rücken. Das deprimiert mich und frustriert mich, denn ich war und bin immer eine engagierte Studentin gewesen, die hart für ihre Ziele und den Studienabschluss gearbeitet hat. Die aktuelle Situation ist, zumindest in meinem Fall, ausdrücklich nicht leistungsabhängig, denn mit dem nötigen Engagement war es mir weiterhin, trotz Kind und Studium, möglich, gute Noten zu erzielen. Und nun soll all dies nicht honoriert werden?

Die Rahmenbedingungen.

Das Praxissemester, so schreibt das Zentrum für LehrerInnenbildung vor, umfasst 250 Stunden an einer Schule, an welcher die Studenten (unbezahlt) Beobachtungsaufgaben übernehmen und im besten Fall eigenen Unterricht durchführen sollen. Außerdem fertigen wir StudentInnen ein Studienprojekt an, das ebenfalls sehr zeitaufwändig und am Ende ausschlaggebend für die Benotung des Praxissemesters ist.
Man verbringt also effektiv 12 Stunden pro Woche an der Schule, hinzu kommen begleitende Seminare an der Uni und die Vor- und Nachbereitungszeit eigener Unterrichtsstunden,  Reflexionsaufgaben, sowie das aufwändige Studienprojekt. Die Uni Köln gibt für all dies einen Zeitaufwand von 37,5 Stunden wöchentlich an, es kommen jedoch noch die Fahrtzeiten zur jeweiligen Schule und zum Zentrum für Lehrer*innenbildung hinzu, an dem die Seminare stattfinden. Auf die Auswahl dieser haben wir Studenten jedoch kaum Einfluss und so kann es zu langen Fahrtzeiten von bis zu zwei Stunden kommen – täglich, one way!
Laut der Handreichungen muss die Praxisphase also am Stück und ohne längeren Ausfall (im Krankheitsfall höchstens vier Wochen) über den Zeitraum Februar bis Juli oder September bis Januar mit 250 Stunden absolviert werden. Und genau hier liegt mein Problem!

Quelle: Infobroschüre für Studierende

Mein Dilemma.

Ich habe versucht mir einzureden, dass ich das Praxissemester irgendwie hinbekomme, trotz Schwangerschaft und Kleinkind, weil ich mit Niklas einen Partner habe, der mich immer unterstützt so gut er kann. Aber ich habe mich getäuscht. Von der Auswahl meiner fünf Schulen im näheren Umkreis wurde mir keine einzige zugeteilt, stattdessen bekam ich einen Platz an einer weiter entfernten Tages- und Abendschule, an der man Schulabschlüsse über den zweiten Bildungsweg nachholen kann (ich studiere übrigens Lehramt für Gymnasien und Gesamtschulen).
Ich bin mir sicher, dass ich das Studienprojekt und auch 250 Zeitstunden Präsenzzeit gut hätte leisten können, vielleicht durch Mehrarbeit zu Beginn des Praxissemsters beispielsweise. Jedoch wie ich diesen Praktikumsplatz tatsächlich hätte antreten sollen, ist mir ein Rätsel, denn für die teils langen Unterrichtszeiten gäbe es nicht immer eine Betreuungsmöglichkeit für Samuel. Sein Papi arbeitet nämlich teilweise in der Spätschicht, so dass er auch nicht für unseren Sohn da sein könnte. Zum Zentrum für Lehrer*innenbildung wurde ich übrigens in Euskirchen eingeteilt – dort fahre ich allein (reine Fahrtzeit, Laufwege sind nicht mit inbegriffen) 1,5 Stunden mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hin, ein Auto besitzen wir nicht.

Wäre das nicht allein schon Grund genug für meine Verärgerung, kommt meine Schwangerschaft als  zusätzliches Problem hinzu. Mit meinem voraussichtlichen Entbindungstermin falle ich in den Zeitraum kurz vor Ende des Praxissemesters und ich werde „gezwungen“ in Mutterschutz zu gehen. Damit würde ich die letzten acht Wochen des Praktikums fehlen. Nun kann ich freiwillig schriftlich auf den Mutterschutz verzichten aber dann entscheidet letztlich die Schule situativ ob sie mich für fit genug hält weiter zu arbeiten und auch der betriebsärztliche Dienst muss sein OK geben. Wenn nicht müsste ich den Mutterschutz trotzdem antreten und das gesamte Praktikum an der selben Schule zu einem späteren Zeitpunkt komplett wiederholen, ohne dass mir meine bisherige Arbeit angerechnet werden würde.
Zu einem späteren Zeitpunkt heißt in meinem Fall dann, wenn Baby groß genug ist in die Fremdbetreuung zu gehen. Also frühestens mit einem Jahr, eher mit zwei Jahren, wenn ich auf mein Bauchgefühl höre. Zu diesem Zeitpunkt würde bereits mein BAFöG wegfallen und nach dem 1. Lebensjahr bezieht man auch kein Elterngeld mehr. Zudem ist das Praxissemester ja unbezahlt. Eine ziemliche finanzielle Belastung also, die wir nicht hätten, wenn es eine andere Lösung geben würde. Das heißt ich würde das Praxissemster im Wintersemester 2019/2020 beginnen – und hätte meinen Abschluss im Oktober 2020, statt im März 2018. Klingt frustrierend, oder?

Finanzierung?

Sind wir doch mal ehrlich, was hat denn das Land NRW vom Praxissemester? Ich – und ich glaube mit dieser Ansicht bin ich nicht allein – sehe das Praxissemester als reines Kostensparprogramm. Das Referendariat wurde nämlich um ein halbes Jahr verkürzt, man hat also am Ende der Ausbildung nicht mehr Praxiserfahrung als mit dem alten System. Während des Referendariats (jetzt Vorbereitungsdienst genannt) erhält eine LehramtsanwärterIn für Gymnasien und Gesamtschulen ~1399,- € pro Monat, für die Primar und Sekundarstufe werden ~1330,- € vergütet. Dies fällt mit dem neu eingeführten Praxissemester für ein halbes Jahr gänzlich weg, denn wir StudentInnen leisten unentgeltliche Arbeit. So spart das Land NRW pro AnwärterIn ca. 8000,- €!

Über die Tatsache, dass das Praxissemester unbezahlt ist, beschweren sich bereits sehr viele Student*Innen, denn der Zeitaufwand, der für das Praxissemester betrieben werden muss, ermöglicht es kaum einem, neben dem Einsatz an der Schule und der Bearbeitung des Studienprojekts noch arbeiten zu gehen. Dies stellt also schon den Regelstudenten vor eine große Herausforderung, aber besonders wir Studimamas sind, egal ob schwanger oder mit Kind(ern) ganz besonders von diesem Fakt betroffen, denn wir müssen ja nicht nur uns selbst ernähren und ein WG-Zimmer bezahlen, sondern oft gleich eine ganze Wohnung und natürlich auch die höheren Lebenshaltungskosten allein tragen. Nun mag man vielleicht erwarten, dass mit der Zahlung von Elterngeld und Kindergeld genau dieses Problem bereits gelöst ist. Doch was, wenn man wie ich sein Kind bereits zu Anfang oder in der Mitte des Studiums bekommt und das Elterngeld, bei dem man ohnehin meist nur den Mindestsatz von 300€ bekommt, nach einem Jahr weg fällt? So bleibt uns Studimamas also nach einem Jahr nur noch das Kindergeld und viele von uns sind gezwungen neben dem Studium zu arbeiten und gleichzeitig dem Kind in Sachen Betreuung gerecht zu werden.

Kurz: das Elterngeld fällt nach einem Jahr weg, das Praxissemester wird nicht vergütet, aber ein KiTa-Platz kostet viel Geld – abgesehen davon, dass wohl kaum genügend Betreuungsplätze vorhanden sind. Aber erst wenn das Kind ein Jahr alt ist, ist das der Punkt an dem es zeitlich möglich ist ins Praxissemester zu gehen. Und dann fehlen bei der ganzen Misere Möglichkeiten der Nebenerwerbstätigkeit.

Und jetzt?

Ich habe hier das Glück, grundsätzlich einen Mann zu haben, der ebenfalls studiert und mit dem ich mich in der Betreuung unseres Sohnes abwechseln kann. Auch er blüht in seinem Studium  so auf, dass er es aber nicht einfach aus finanziellen Gründen abbrechen will, um Vollzeit arbeiten gehen zu können. Würde ich ins Praxissemester gehen, müsste er sowohl sein Studium, als auch seine Teilzeitstelle, die uns finanziell eine große Stütze ist, vorerst aufgeben.

Und nun frage ich mich, wie soll ich all dies leisten? Wie soll ich bis zum Entbindungstermin so hart arbeiten und nebenbei noch meinen kleinen Sohn betreuen und versorgen? Das ist ja die einzige Option, wie ich das Praxissemester schwanger überhaupt antreten darf, wenn der Entbindungstermin in das Semester fällt: ich muss schriftlich auf den Mutterschutz verzichten, mich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen und dann darauf hoffen, dass die Schule mich auch arbeiten lässt. Wenn nicht, waren alle bislang geleisteten Stunden umsonst und ich muss das ganze Semester wiederholen! Verschiebe ich das Praxissemester auf die Zeit nach der Geburt, werde ich ziemlich bald wieder vor dem selben Problem wie bei meinem ersten Kind stehen.

Ich bin ratlos. Und ich bin verzweifelt. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich einfach nur diskriminiert aufgrund der Tatsache, dass ich eine Frau bin!  Ja, das Schulministerium NRW diskriminiert schwangere Studi-Mamas, finde ich – und das ist ganz und gar nicht okay!

Alles Liebe,
eure Jasmin