Ich sitze am großen Bett. Dein Bauch hebt und senkt sich sanft im Takt deines Atems. Friedlich siehst du aus. Ob du wohl einen schönen Tag hattest? Vielleicht träumst du davon, wie du mit deinen neuen Winterstiefeln durch den großen Laubhaufen gerannt bist. Vielleicht spielst du auch gerade mit Papa Fußball, so wie an diesem Nachmittag. Glücklich siehst du aus. Und schon so groß. Ich frage mich, wann das eigentlich passiert ist, das Großwerden. Wir haben doch gestern erst dabei zugesehen, wie du deine ersten Schritte machtest. Wir haben dich doch gestern erst zum ersten Mal in den Kindergarten gebracht. Und nun liegst du da, zwischen den großen weichen Kissen und deine Beine ragen schon bis zur Mitte des Bettes. Mir fällt ein, ich sollte dringend eine Messlatte an der Wand befestigen, dann können wir markieren, wie schnell du gewachsen bist. Ja, das würde auch dir Spaß machen, ganz bestimmt.

In Thailand haben wir jeden Tag ganz bewusst erlebt.

Ich lege mich behutsam neben dich. Meine Hand streicht sanft über deine. Da ist noch ein kleines bisschen Babyspeck. Nicht viel, gerade so, dass ich mich an deine Babyzeit erinnert fühle. Deine erste Umarmung, dein erstes Wort, dein erster Wutausbruch. So viele Gedanken schwirren durch meinen Kopf. So viele Bilder. Ich wünschte, ich könnte noch ein mal zu einigen Tagen zurückreisen und sie ganz bewusst noch mal erleben. Bewusst erleben – tun wir das nicht viel zu selten? Ich möchte zurückreisen und deine süße Stimme konservieren, bevor sie sich verändert. Deinen Geruch von meiner Lieblingsstelle im Nacken festhalten, bevor er verfliegt. Durch deine süßen Haare wuscheln, bevor wir zum Frisör gehen. Ich nehme mir vor, den nächsten Tag ganz bewusst zu erleben.

Dein Brustkorb hebt und senkt sich sanft im Takt deines Atems. Ganz friedlich liegst du da, ahnst nichts von meinen Gedanken. Siehst nicht das wilde Karussell der Zeit, das sich immer schneller dreht mit der Spielmannsmusik im Hintergrund. Denn du lebst für den Moment. Du lebst den Augenblick. Und ich nehme mir vor, wieder ein bisschen mehr wie du zu sein. Ich nehme mir vor, den Alltag wieder bewusster wahrzunehmen. Ich nehme mir vor, Schritt für Schritt zu tun, wieder mehr im Moment zu leben. Denn meine Gedanken haben mich Kraft sammeln lassen. Ich bin nun wieder stark, nicht mehr so müde. Was wir wohl morgen machen? Vielleicht die ersten Plätzchen backen? Ich weiß es nicht. Vielleicht durch Pfützen springen, bis die Wangen rot glühen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins, ich will das Leben spüren, durch dich.

Dein Bauch hebt und senkt sich sanft im Takt deines Atems. Ich liege bei dir und schließe meine Augen. Kann nur noch deine Hand in meiner Spüren und grabe mich tiefer in die Kissen. Ob du wohl spürst, dass ich direkt neben dir liege? Ob du wohl weißt, dass ich heute Nacht lange neben dir gesessen und nachgedacht habe? Ich höre deinen Atem und entgleite sanft in die Welt der Träume. Mein kleiner Samuel, ich hab‘ dich so lieb!

Alles Liebe,
deine Mama