Heute fühle ich mich müde, abgeschlagen und kaputt. Ich dachte erst, dass es vielleicht am Wetter liegt, denn aktuell sind es hier knapp dreißig Grad und die Luft bei uns in Köln ist drückend. Auch habe ich letzte Nacht schlecht geschlafen und rechne jederzeit damit, dass sich unser Baby auf den Weg macht. Aber ein Blick in den Kalender verrät mir, warum ich heute einen schlechten Tag habe. Es ist der 30. Mai. Vor genau einem Jahr habe ich mein Baby verloren.

Am 30. Mai erhielt ich den Anruf meiner Gynäkologin. Den Anruf, der mir den Boden unter den Füßen wegriss. Ich hatte doch morgens noch einen Ultraschall gehabt, der uns hoffen ließ. Die Fruchthöhle war gewachsen, trotz Blutungen, und ich war zuversichtlich. Aber der Anruf änderte alles. Von nun an war ich nicht mehr schwanger – die Blutwerte waren katastrophal. Ein Jahr ist das nun her und mittlerweile bin ich wieder schwanger, stehe sogar kurz vor der Geburt unseres Kindes. Und trotzdem ist dieser Tag heute für mich ein besonderer.

Lange hat mich die Fehlgeburt beschäftigt, so richtig abschalten konnte ich eigentlich nur während unserer Thailandreise – von der wir mit unserem Regenbogenbaby unter dem Herzen zurückkehrten. Danach legte sich die Trauer und wir konnten, so dachte ich, uns auf unser „neues“ Baby freuen. Aber das war ein Trugschluss. Ich musste immer wieder an unser Sternchen denken und als wir im Februar mit Stern-TV einen Beitrag zu frühen Fehlgeburten drehten, kam alles doppelt so stark wieder hoch.
Nein, ich hatte nicht vergessen. Ich hatte verdrängt. Das wurde mir zu diesem Zeitpunkt ganz schmerzlich bewusst. Während des Drehs brach ich mehrmals unter der Last ein, Tränen liefen und ich war froh, meinen Mann Niklas an meiner Seite zu haben. Er ist mein Fels in der Brandung, meine Schulter zum Anlehnen. Die Trauer traf mich mit einer heftigen Wucht und ich weinte in den Tagen und Wochen wieder viel um unser verlorenes Kind. Ja, an manchen Tagen war ich so traurig, dass mich tiefe Schuldgefühle plagten. Hatte unser Baby, das ich jetzt im Bauch trage, nicht eine glückliche Mama verdient? Wenn wir unser Sternchen nicht verloren hätten, wäre ich nun schon seit Januar Zweifachmama – aber nicht schwanger mit meinem jetzigen Kind. Die Gedanken drehten sich um mich wie in einem Karrussel. Die Spirale aus Trauer, Verwirrung und Vorfreude auf unser Avocado-Baby machte mich ganz verrückt. Ich konnte mich nicht völlig frei von negativen Gedanken auf unser Baby freuen, denn das fühlte sich falsch unserem Sternchen gegenüber an.

Im Hypno-Birthing Kurs, den ich mit Niklas im April besuchte, wurde mir klar, dass ich noch lange nicht mit der Trauerphase abgeschlossen habe. Wir haben eine Übung gemacht, bei der wir unser Baby spüren sollten und ihm gut zureden sollten. Wir sollten ihm sagen, dass wir uns auf es freuen und mit dem ungeborenen Kind kommunizieren. Ich hätte so gerne an dieser Übung teilgenommen, aber meine Gedanken trugen mich ganz wo anders hin. So lag ich da, lauschte den Worten der Kursleiterin – aber sie drangen nicht zu mir vor. Stattdessen liefen Tränen meine Wangen hinunter. Ich konnte nicht zu meinem Baby sagen „Ich freue mich auf dich.“ Es fühlte sich in diesem Moment so falsch an. Dabei freuten wir uns doch über unser Regenbogenbaby, das so voller Liebe in Thailand entstanden war.
Ich suchte das Gespräch mit der Kursleiterin im Anschluss an die Sitzung und sprach auch mit Niklas über meine Gedanken, teilte ihm meine Schuldgefühle mit und sagte ihm, dass ich mich doch auf unser Baby freuen wollte. Beide hörten mir zu, nahmen mich in den Arm und wir führten Gespräche. Das half mir. Von da an suchte ich öfter den Kontakt zu meinem kleinen Bauchbewohner und sagte ihm, dass ich mich über ihn freue. Ich sagte dem Baby aber auch, dass ich sein Geschwisterchen nicht vergessen konnte.

Und nun sitze ich heute hier, am 30. Mai, und frage mich, ob es mir heute besser geht. Ob ich mich wirklich völlig unbefangen auf unser Baby freue. Ich frage mich, warum ich so niedergeschlagen bin.

Die Antwort ist: ich vermisse unser Sternchen. Noch immer. Ich wünsche mir zu wissen, wer dieses Kind gewesen wäre. Wie sein Charakter gewesen wäre. Wie es ausgesehen hätte.
Aber, und das ist mindestens ebenso wichtig, ich freue mich auf unser Baby. Von ganzem Herzen. Denn dieses Kind ist genauso meines und ich bin überglücklich, dass mir das Leben ein weiteres Kind schenkt. Also bin ich dankbar und glücklich. Glücklich, dass ich drei Kinder habe. Eins an der Hand, eins im Bauch und eins im Herzen.

Alles Liebe,
eure Jasmin