Wie dankbar man wirklich für ein gesundes Kind ist, spürt man meistens erst, wenn im Umfeld jemand ein krankes Kind hat. Und mit krank meine ich hier nicht einen kleinen Schnupfen, eine Bronchitis oder einen Magen-Darm-Effekt. Nein, ich spreche von einer Diagnose, die uns Mütter in einen Zustand des Schocks versetzt. Von Krankheiten, die eine Familie womöglich ein Leben lang begleiten werden. Ein ärztlicher Befund kann Eltern in Schockstarre versetzen, dann, wenn sie noch nie zuvor mit einem solchen Krankheitsbild zu tun hatten und die Angst größer ist, als das Wissen. Oder aber der Befund schafft Erleichterung. Erleichterung, die Dinge endlich beim Namen nennen zu können. Beides ist schwer, denn in beiden Fällen zieht eine Diagnose oft stetige Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte, Operationen oder noch Schlimmeres nach sich. Für die Familie oft ein schwerer Weg, die Krankheit oft wie ein Schatten über ihr, von dem sich frei zu machen manchmal gar nicht so leicht fällt.

Bella ist Mutter von drei Kindern, alle vermeintlich gesund geboren. Aber dann kam Tag X, der Tag des Schockzustands und schließlich der Tag der Diagnose. Erleichterung. Aber auch Sorge. Bella erzählt euch, welcher Schatten ihre Familie seitdem begleitet und wie sie es trotzdem schafft, positiv zu bleiben. das-kind-mit-dem-blitz-im-kopf

Wir machen morgen Früh ein MRT um einen Tumor im Gehirn ausschließen zu können.

Dieser Satz hallte mir in den Ohren und riss mir beinahe die Füße weg. Sollte das etwa ein Scherz sein? Vor meinem geistigen Auge begann ein Film abzulaufen.  Wir sprechen hier von meiner Tochter. Meinem Kind. Gestern waren wir bei Freunden im Garten baden und haben ein unbeschwertes Leben geführt. Fernab von Krankenhausgeruch und medizinischem Fachjargon. Und heute? Heute sitze ich mit dickem Bauch, 36. Schwangerschaftswoche, und meiner Sechsjährigen auf dem Schoß in einem Behandlungszimmer und fühle mich, als hielte mir jemand eine Waffe an den Kopf.

Die Nacht die alles verändern sollte in unserem Leben hatten wir hinter uns. Mein untrüglicher Mutterinstinkt hat sich einmal mehr bestätigt. Aber von vorne. Meine Tochter hatte mit elf Monaten den ersten Fieberkrampf. Wer es kennt weiß, dass es mit das Gruseligste ist, was man erleben kann. Wenn dein Kind blau anläuft, man keinen Atem mehr wahrnimmt und den Puls mit zittrigen Fingern sowieso nicht fühlen kann. Die Telefonnummer des Notrufs floß aus mir heraus während mein Mann hilflos daneben stand. Ich reagierte instinktiv und begann mit den Erste Hilfe Maßnahmen die mir einfielen, versuchte mit Hilfe einer kalten Dusche ihren Kreißlauf anzuregen. Der Nachbar wartete draußen nicht minder panisch auf den Rettungswagen und als dieser endlich kam und wir in die Klinik fuhren war der Spuk auch schon vorbei.  Das Kind blickte mich mit großen Augen an. Das Fieber blieb vier Tage. Drei-Tage-Fieber war die Diagnose. In den kommenden Jahren reagierten wir beim kleinsten Temperaturanstieg wie geraten. Dennoch blieb ein komisches Gefühl.

Als sie anfing nachts zu speicheln und mit den Zähnen zu knirschen ging ich zum Zahnarzt. Keine Bedenken seinerseits, das sei alles in Ordnung und im Rahmen. Die Zähne gesund. Dennoch habe ich oft nachts wach gelegen und mich gefragt was da in ihr schlummert, wenn sie die Zähne so lautstark zusammenbiss, als müsste sie sich gegen etwas wehren. Der Kinderarzt konnte uns auch nicht weiterhelfen. Und dann passierte es. Der große Anfall der alles verändern sollte. Mein Kind stand nachts speichelnd vor mir. Ich war sofort hellwach. Sprach mit ihr und sie antwortete wirres Zeug. Meinen Mann weckte ich auf und er- selbst verschlafen- nahm sie in den Arm und schlief mit ihr ein. Doch ich konnte nicht. Ich spürte etwas und konnte es mir doch nicht erklären. Plötzlich riss sie die Augen auf, begann zu zucken, Arme und Beine schlugen wie von Sinnen um sie und ihr Mund war voller Schaum. Ich brüllte meinen Mann an das Telefon in die Hand zu nehmen, den Notruf zu wählen und beruhigte gleichzeitig unsere Kleine. Dank meines Erste Hilfe Kurses am Kind wusste ich, dass sie einen Krampfanfall hatte, ich wusste wie ich reagieren musste und dass er generell ein Ende haben wird. Aber ich wollte Hilfe. Ich brauchte Hilfe. Es war hier keine Puppe an der ich arbeitete, es war mein Kind.

Der Notarzt kam und der Sanitäter legte sich erstmal neben das weinende und nun völlig kraftlose Kind ins Bett. Wie wunderbar er seinen Job machte und wie schnell sie doch da waren. Wir fuhren mit dem Rettungswagen zur Klinik und der Rettungsdienst schaffte es tatsächlich das mein Kind- trotz aller Angst- lächelte. Blaulicht und Martinshorn, ein Teddybär und einmal den Turbogang einlegen sind wahrlich etwas was ein Kind vom großen Schrecken ablenken kann. Das Legen eines Zugangs hätte ich ihr gerne erspart. Besonders, weil es bei ihr ebenso gut funktioniert wie bei mir. Viermal musste gestochen werden. Viermal klammerte sich mein Kind an mich und brüllte, dass sie aufhören sollten. Mamiiii, sie tun mir weh und ich war machtlos. Musste es ihr zumuten. Dann kam der Satz der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wir müssen einen Tumor im Hirn ausschließen. MRT. Morgen. Mein Mann sollte sie begleiten, da ich schwanger nicht ins MRT durfte. Wie laut dieses Ding ist wurde mir erklärt. Panik. Doch meine Tochter- die Vernunft auf zwei Beinen- sagte, dass sie das schaffen würde. Ohne Medikation. Plötzlich ging es schnell. Das MRT sollte sofort gemacht werden. Mein Mann war nicht erreichbar. Ich stand weinend vor der Tür und musste 20 Minuten darauf vertrauen, dass die Krankenschwester meinem Kind genug Sicherheit geben konnte. Und sie haben es geschafft. Das MRT zeigte keine Auffälligkeiten. Lediglich ein wunderschönes und schlaues Gehirn wie die Ärztin uns mitteilte. Der nächste Schritt war ein Schlafentzugs-EEG. Wir mussten die Nacht durchmachen. Um 2 Uhr wurden wir geweckt und uns dann bis zum Termin um 9 beschäftigen. Welch Glück, dass der Kindergarten des Krankenhauses einen Schlüssel für alle Fälle hat und der Eisautomat reich befüllt war. Das EEG, welches das Kind gänzlich verschlief zeigte eindeutig. Epilepsie. Unsere Diagnose. Zuerst hatte ich Panik. So viele Einschränkungen. Kein Radfahren. Kein Reiten. Kein Schwimmen ohne 1:1 Betreuung. Keine Prognose wie oft und heftig diese Anfälle kommen würden. Aber eine Wahl hatten wir. Medikamente oder nicht. Wir haben uns dagegen entschieden. Denn unser Kind ist gesund. Wir haben keinen Krebs gegen den wir kämpfen müssen. Wir haben einen Geist der uns begleitet. Dennoch hat es unser Leben verändert. Wir haben ein gesundes Kind mit einer Krankheit und ich bin umso dankbarer dafür, dass ich ihre Mutter sein darf. Dass ich sie begleiten kann und darf. Dass mein Mutterinstinkt mich vorgewarnt, angeleitet und gestärkt hat.

Und ich bin stolz auf mein Kind mit dem Blitz im Kopf.

Positiv bleiben. Nach vorn blicken. Den Alltag nicht von den Schattenseiten einer Krankheit bestimmen lassen. All das schafft Bella. Natürlich gibt es Momente, in welchen sie als Mutter reagieren muss, um einem Anfall vorzubeugen. Momente, in welchen sie ihr Kind ganz besonders schützen will. Es bleibt zu hoffen, dass ihre Tochter irgendwann wieder komplett anfallfrei leben kann, denn es bestehen Heilungschancen. Alles Liebe wünsche ich ihr und ihrer Familie.

Eure Jasmin