1. April. Genau ein Jahr ist Samuels schlimmer Unfall nun her. Und so sehr wir uns damals gewünscht hätten, dass alles ein schlechter Aprilscherz ist, so sehr wurden wir enttäuscht. Alles wurde tatsächlich noch viel dramatischer als wir zum Zeitpunkt des Unfalls tatsächlich annahmen.
1. April 2016. Niklas und ich waren beide erkältet. Es war kurz nach Ostern, wir hatten Semesterferien und tranken literweise Tee. So auch an diesem Morgen.  Samuel lag fröhlich quietschend in der Babywippe vor der Küchenzeile und mein Mann Niklas kochte Wasser auf und goss damit Tee in unserer Glasteekanne auf. Ich stand in der Türe zur Küche und lächelte meine beiden Männer noch an. Plötzlich ein Knall, ein schreiendes Baby und dann ging alles ganz schnell.
Niklas gab mir Anweisungen während ich hektisch versuchte die Lage zu überblicken und den Notarzt rief. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich wahnsinnige Angst um das Leben meines Kindes. Der Herr am Telefon musste mir gar keine Fragen mehr stellen, ich funktionierte nur noch und gab ihm direkt alle Infos die er brauchte.
Samuel schrie, Niklas hatte ihn bereits ausgezogen und mit etwas Wasser gekühlt. Aber die verbrühte Haut warf sofort Blasen und platze auf. Ich versuchte Samuel an meiner Brust zu beruhigen und seinen Körper warm zu halten. Verdammt, warum konnte ihn die Muttermilch diesmal nicht beruhigen? Warum konnte ich ihm keinen Trost spenden? Und warum brauchte der Notarzt so lange? Ich ging mit schreienden Kind auf dem Arm im Wohnzimmer auf und ab, mein Herz klopfte wie wild und Sekunden fühlten sich wie Minuten an. Endlich klingelte es. Scheiße. Wir waren mit der Schwiegermutter zum Frühstück verabredet. Sie muss einen Schock gehabt haben von dem Anblick der sich ihr bot. Dann klingelte es wieder. Endlich. Der Notarzt!
Samuel bekam Schmerzmittel, wurde in Folie gewickelt und wir fuhren in die Uniklinik. Dort sagte man uns, dass die Verbrühungen zu großflächig seien – sie reichten vom Scheitel bis zum unteren Ende des Schulterblattes – und wurden weiter zur Kinderklinik geschickt, die eine eigene Abteilung für Brand- und Verbrühungsopfer hatte. Also wieder in den Rettungswagen. Ich war verzweifelt. Wenigstens war Niklas inzwischen in der Klinik angekommen und stand mir bei. Im RTW darf immer nur eine erziehungsberechtigete Person mit fahren, er wurde deshalb von seiner Mama zu uns gefahren.  Was ein Glück, dass sie gerade in der Nähe war.
In der Kinderklinik sagte man uns, dass Samuel einen Verband bekommen würde und man später bei einer Operation unter sterilen Verhältnissen nach der Tiefe der Wunden schauen müsse. Wenn ich das richtig verstanden habe, zeigt sich das wirkliche Ausmaß nämlich oft erst später. Aber die Tatsache, dass unser Samuel nicht sofort in den OP kam, erleichterte uns und gab uns Mut. Dann konnte doch alles nicht so schlimm sein, oder? Gleichzeitig wollten wir natürlich wissen, wie schlimm Samuels Verletzungen sind und auf was wir uns einstellen mussten. Aber es half nichts, wir mussten warten. Warten auf die OP und die Ergebnisse.
Die Wartezeit war zermürbend und sie machte mir Angst. Sie machte uns Angst. Quälende Fragen in unseren Köpfen. Beim Gespräch mit der Stationsärztin fiel das Wort Transplantation, aber auch, dass eine Transplantation nach aktuellem Stand eher unwahrscheinlich sein würde. Trotzdem, die Angst war riesig. Niklas hatte sich im übrigen beide Füße verbrüht und bemerkte dies erst am Abend. Zu groß war bis dahin die Sorge um unseren Sohn.
Schließlich kam der Tag der OP. Ich war einigermaßen zuversichtlich. Schließlich würden nur die Verbände gewechselt und ein Befund gemacht werden. Im OP kann mit einem speziellen Gerät gemessen werden, welche Hautschichten verletzt sind und somit, wie tief die Verletzung reicht. Wir waren voller Hoffnung. Als Samuels Bett durch die beiden Schwingtüren zum OP geschoben wurde, war er wach, hatte seit über zehn Stunden nichts gegessen und keine Flüssigkeit zu sich genommen – dass er überhaupt noch wach bleiben konnte, wunderte uns. Ich vergrub mein Gesicht in Niklas‘ Schulter und er hielt mich ganz fest. In mir zog sich alles zusammen. Hoffentlich würde Samuels kleiner Körper die Vollnarkose gut überstehen, hoffentlich würde alles gut ausgehen, hoffentlich kam er schnell wieder, hoffentlich. Hoffnung war das einzige was blieb.
Die OP war für 45 Minuten angesetzt. Als Samuel nach zwei Stunden immer noch nicht zurück war, wurden wir richtig nervös. Da konnte etwas nicht stimmen! Warum dauerte das so lange? Geht es Samuel gut? Schließlich wurden wir erlöst und ich durfte zu Samuel in den Aufwachraum – wo er bereits wach auf mich wartete. Man hatte vergessen uns Bescheid zu sagen. Wir waren so erleichtert. Samuel ging es gut, er durfte mit zu uns aufs Zimmer und ich stillte ihn. Er trank beide Brüste und die Milch, die ich über den Tag verteilt abgepumpt hatte. Danach schlief er in meinen Armen ein.
Als die Ärztin auf uns zu kam, wusste ich direkt, dass etwas nicht stimmt. Ihr Blick verriet, dass sie keine guten Neuigkeiten hatte. Samuels Verletzungen waren an zwei Stellen tiefer als erwartet, Verbrühungsgrad 2b und 3. Die Ärztin sagte, dass eine Transplantation der entsprechenden Stellen notwendig sei, um ein gutes Endergebnis zu erzielen. Außerdem war der Kopf doch schlimmer verbrüht als angenommen und sie bereitete uns drauf vor, dass eventuell nicht alle Haare nachwachsen würden. Eine Transplantation bedeutete eine Transplantationsoperation und mindestens zwei weitere Verbandswechsel unter Vollnarkose, außerdem eine Woche Intensivstation auf der Samuel fixiert werden müsste, damit die Haut gut heilen kann – insgesamt mindestens drei Wochen Klinikaufenthalt. Ich brach zusammen. Damit hatten wir nicht gerechnet. Niklas ging es ebenso schlecht wie mir, er machte sich zudem schlimme Vorwürfe, weil er derjenige war, der den Tee aufgegossen hatte. Ich versuchte ihn zu überzeugen, dass er keinerlei Schuld trug. Immerhin konnte er nicht wissen, dass die Teekanne einfach in tausend Teile zerspringen würde.
Während ich zusammenbrach, versuchte Niklas stark zu bleiben und mich aufzubauen. Wir hielten uns ganz fest und versuchten diese Nachricht zu verdauen. Es wurde ein Operationstermin für zwei Tage später angesetzt, bei dem die abgestorbenen Hautstellen entfernt und alles für die Transplantation vorbereitet werden sollte. Wir unterschrieben, dass im Zweifel die Transplantation auch sofort durchgeführt werden dürfe und hofften, dass Samuel das alles gut überstehen würde.
Die zweite Operation startete viel später als geplant, wir alle waren mit den Nerven am Ende. Samuel war bereits sechzehn Stunden nüchtern, als er nach der Narkose wieder zu sich kam und trank auch diesmal gut und reichlich. Auch diesmal hatte er die Narkose glücklicherweise gut vertragen und wir waren erleichtert, unser Kind zurück in unseren Armen zu wissen.
Schließlich erhielten wir die Nachricht erhielten, dass eine Transplantation nicht zwingend notwendig sei. Die Ärztin teilte uns mit, dass es nur zwei sehr kleine Stellen wären, die man eigentlich transplantieren müsste, aber dass die ganzen Strapazen dafür kaum im Verhältnis stehen würden.  Es würden bestimmt zwei kleine Narben bleiben aber Samuel sei noch so jung, dass man sie mit ein bisschen Glück vielleicht später mal nur als leichten hellen Schatten sehen würde.

Nach dieser Nachricht flossen bei uns Freudentränen. Unsere Gebete wurden erhört und Niklas und ich haben uns lange in den Arm genommen. Wir waren noch nie so voller Angst und dann so erleichtert!

Es folgten weitere Tage zur Beobachtung und schließlich durften wir nach Hause. Endlich! Wir mussten weiterhin jeden zweiten Tag in die Ambulanz zum Verbandswechsel. Fast zwei Monate ging das so. Schließlich waren die Wunden aber so gut verheilt, dass Samuel nicht mal mehr ein Pflaster benötigte. Wir cremten die verletzten Stellen täglich zwei Mal ein und schnell zeigte sich, wie gut Samuels Haut die Wunden heilte.
Auf direktes Sonnenlicht soll Samuel die nächsten zwei Jahre komplett verzichten und nur Sonnencreme mit LSF 50 benutzen. Anfänglich hatten wir Bedenken, ob wir unter diesen Voraussetzungen unsere Thailand-Reise nur vier Monate nach dem Unfall überhaupt antreten können, aber die Ärztin ermutigte uns, trotzdem zu fliegen und dafür gut aufzupassen.
Nun, ein Jahr nach dem Unfall, haben wir eine Bestandsaufnahme gemacht. Samuels Haare sind allesamt (!) nachgewachsen und er hat eine üppige Haarpracht, die ich sogar schon ein Mal kürzen musste. Wirklich, wenn man seine Haare betrachtet, würde man gewiss niemals auf die Idee kommen, dass einmal unklar war, ob er überhaupt Haare am Hinterkopf haben würde. Das freut uns sehr.
In seinem Nacken und an seinem rechten Schulterblatt sieht man noch zwei kleinflächige Narben. Sie sind hell und nicht erhaben oder wulstig, sondern ganz flach, fast wie eine Pigmentstörung. Die Narbe im Nacken verschindet unter seinen Haaren und auch die Narbe auf der Schulter ist, glaube ich, nur sichtbar, wenn man weiß, dass sie sich dort befindet. Wir behandeln beide Narben nach wie vor täglich mit einer Salbe und hoffen, dass sie sich weiter zurückbilden werden. Vielleicht sieht man sie in ein paar Jahren tatsächlich nicht mehr.
Wir sind, besonders heute, unfassbar glücklich und dankbar, einen gesunden Jungen bei uns zu haben, der ohne wirklich nennenswerte bleibende Schäden unseren Alltag täglich ein bisschen bunter macht. Samuels Geschichte hat uns gezeigt, dass Hoffnung und der Glaube wirklich Berge versetzen können.
Wir sind dankbar, dass unsere Familie und Freunde uns in der schweren Zeit Trost gespendet haben und für uns gebetet haben. Danke, von Herzen.
Für den Fall, dass euch einmal etwas so schreckliches widerfahren sollte, habe ich euch hier die Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Verbrühungen zusammengefasst (die Angaben sind ohne Gewähr, ich habe die Maßnahmen beim letzten Erste-Hilfe-Kurs erfragt und gebe sie an euch weiter. Für Verletzungen, die durch eine falsche Maßnahme entstehen, übernehme ich keine Haftung!):
  • Ruhe bewahren und Verletzten beruhigen
  • Notarzt rufen
  • betroffene Kleidung schnell entfernen
  • die Stelle mit kühlem Wasser (ca. 20 Grad Celsius) kühlen
    Wichtig: Auf Kühlen sollte bei einer großflächigen Verbrühung verzichtet werden!
  • Auf keinen Fall Salben oder ähnliches auftragen
  • sterile Verbände anlegen oder den Betroffenen in saubere Tücher einwickeln, die nicht fasern (z.B. Küchenhandtuch)
  • Betroffenen in Rettungsfolie aus dem Verbandskasten einwickeln (Goldene Seite zum Betroffenen)
  • Notarzt aufsuchen (Impfbuch mitnehmen, u. a. wegen Tetanusschutz)

Seid vorsichtig, wenn ihr mit heißen Flüssigkeiten oder heißer Nahrung hantiert. Es kann immer sein, dass ein Gefäß unvorhersehbar zerbricht und das Kind (oder andere Personen) sich in der Nähe befinden.

Alles Liebe,
eure Jasmin